Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
Vom Netzwerk:
Rest gegeben. Alice hatte recht, und sogar Deacon wollte es nicht glauben.
    «Liebes, gutes kleines Schweinchen, lass mich doch zu dir hinein», flüstert die Stimme eifrig hinter der Tür. Chance öffnet die Augen und schaut hinüber, der Lauf des Gewehrs berührt jetzt den Boden, und sie lächelt, ein schwaches, krankes Lächeln für ihren Wahn, diese Ausgeburt all ihrer Verluste und Schmerzen, die sie verdrängt hatte, durchlebt hatte, und ihr verrücktes Hirn bringt nach alldem nichts Besseres zustande als diesen armseligen Billighorror.
    «Nein», sagt sie. «Ich weiß jetzt, was ihr seid.» Und sie dreht das Gesicht wieder in die Sonne.
    Und das starrende deformierte Ding, das sich gegen das Bodenfenster presst, erwidert ihr Lächeln, ein Schatten, der sich mit Spinnengliedmaßen am Dach festklammert.
    Chance schreit und legt die Winchester an. Das Klammerwesen öffnet weit die Kiefer, ein stilles, gedehntes Gähnen, um sich über sie lustig zu machen, und sein Mund ist voller Augen, wilde Augen, die roten Augen eines Albinokaninchens beobachten sie. Chance drückt ab, die Fensterscheibe platzt, und es regnet Schrotkugeln, Glas und Streifen schwarzen Fleischs.
     
     
    Er ist die ganze Nacht durchgefahren, hat eine Tasse nach der anderen voller brühend heißem, sauer schmeckendem Rasthaus-Kaffee getrunken, flaschenweise Koffeinbrause und schließlich noch zwei Alupackungen Ephedrintabletten genommen, von denen er Magenschmerzen bekam. Übel wurde ihm davon auch, dass er fast kotzen musste, aber das Zeug hielt die Augen offen. Alles, was in der Zwischenzeit Sadie und Chance zugestoßen sein mochte, ließ ihn weiterfahren, hielt ihn davon ab, darüber nachzudenken, was er bei der Hütte erlebt hatte, und am Karsttrichter, was ihn durch Shrove Wood jagte bis zur Eleanore Road. Dann endlich Sonnenaufgang, Birmingham, und Chance’ Haus sieht noch genauso aus wie bei seiner Abfahrt.
    Er parkt den Chevy auf halbem Weg in der Kiesauffahrt, macht den Motor aus, bleibt noch einen Moment sitzen und mustert das Haus durch die dreckige Windschutzscheibe hindurch. Es ist schwer, ein scharfes Bild zu bekommen durch die Schwaden von Adrenalin und billigem Speed, Koffein und Angst. Seine überspannten Nerven wollen ihm alles im selben hoffnungslosen Grau vorgaukeln.
    Erhol dich einfach ein bisschen, Deke, und krieg einen klaren Kopf, bevor du da gleich hineintorkelst und alle zu Tode erschreckst. Eine angenehme Vorstellung: Sadie und Chance, sicher und schlafend in der staubigen Zuflucht des alten Hauses, und er selbst das Schlimmste, was ihnen im Augenblick passieren kann. Ja, ein wirklich schöner Gedanke, an den er sich verzweifelt klammert wie ein nach Luft ringender Ertrunkener. Er greift unter den Sitz nach der Pistole, in der noch immer vier Patronen in der Trommel stecken. Es ist nicht sonderlich wahrscheinlich, dass er die Pistole noch einmal brauchen wird, aber man kann ja nie wissen, eine kleine Lebensversicherung ist immer gut. Deacon steckt das Ding wieder in den Hosenbund und steigt aus.
    Er schafft es beinahe bis zur Veranda, bevor er Chance schreien hört, und hat gerade noch Zeit, hochzuschauen, als er den Gewehrschuss hört und das Dachfenster explodiert. Deacon duckt sich und hält die Arme über den Kopf, ihm bleibt nicht mehr als das eigene Fleisch, um sich abzuschirmen gegen den folgenden Regen aus Glas und Splittern. Tatsächlich trifft ihn eine Scherbe am Arm, wo sie einen langen Schnitt hinterlässt, um sich dann ins taufeuchte Gras zu seinen Füßen zu bohren. Der Knall hallt noch wider, bevor er sich mit Schallgeschwindigkeit vom Haus entfernt, entflieht und sich in der von Abgasen verpesteten Morgenluft verliert. Deacon starrt überrascht und schockiert auf sein eigenes dunkles Blut. Blut, das die Scherbe verfärbt, die seinen Arm getroffen hat, und ihm jetzt in stetigem Fluss vom Ellbogen tropft. Eine klebrigfeuchte, hellrote Pfütze bildet sich im Gras, und überall um ihn herum liegen glitzernde Überreste des Fensters. Dann schreit Chance erneut. Deacon vergisst Blut und Schmerz, vergisst seine verzweifelten, dummen Wunschträume davon, dass dieses Haus und die beiden darin verschont geblieben sind, und er ist mit wenigen großen Schritten bei der Veranda. Da ja keine Stufen mehr da sind, nimmt er eben den kaputten Impala, steigt auf den Kofferraum und von dort auf das Dach des Wagens, rostiges Metall, das laut ploppt und unter seinem Gewicht verbeult. Und da entdeckt er die hässlichen Kratzer

Weitere Kostenlose Bücher