Fossil
das verklebte Haar.
«Du kannst doch irgendwo hin, oder? Ich meine, kannst du irgendwo bleiben?»
«Ich habe hier ein paar Freunde», sagt Dancy, eine vage Antwort, mit der sie weiteren möglichen Fragen ausweicht, und sie schämt sich dafür, wie sie aussieht, wie sie riecht.
Chance zieht einen Zwanzigdollarschein aus der hinteren Hosentasche, aber Dancy schüttelt den Kopf, will das Geld nicht annehmen, wird noch verlegener, aber Himmel, es ist ein Zwanzigdollarschein, und ein Teil von ihr hofft, dass Chance es sich nicht noch einmal anders überlegt.
Was die auch nicht tut, stattdessen schüttelt sie den Kopf und sagt: «Betrachte es als geliehen, falls dir das lieber ist. Ich brauchte heute wirklich jemanden zum Reden, ehrlich.»
Also nimmt Dancy den Schein, knüllt ihn dabei zusammen und schüttelt Chance noch einmal die Hand, weniger unsicher diesmal, und sie drückt auch nicht wieder so fest zu.
«Danke», sagt sie, und dann fast noch: Sehen wir uns mal wieder?, aber das wäre vielleicht zu viel, das könnte Chance falsch verstehen, ganz egal, wie nett sie auch ist, man kann einen Menschen jederzeit in die Flucht schlagen, es ist nie zu spät, um einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Chance sieht wieder auf ihre Uhr.
«Ich muss mich echt beeilen», sagt sie. «Aber es war schön, dich kennenzulernen, Dancy Flammarion.» Sie lächelt, das erste echte Lächeln, das Dancy an ihr beobachtet hat, und es steht der großen Chance wirklich gut.
Schon ist sie los, hastet zurück zum Fahrstuhl, und Dancy sieht ihr hinterher, wartet, bis sich die Fahrstuhltüren schließen, dann öffnet sie die Hand und mustert den Zwanziger. Sie legt ihn vor sich auf den Tisch und zieht ihn glatt, versucht die Papierfalten auszubügeln, anschließend steckt sie das Geld in ihren Seesack.
«Wir sehen uns, Chance Matthews», flüstert sie, weiß, dass es auf jeden Fall stimmt, und dann sieht Dancy wieder hinauf zum stummen, farbenfrohen Pantheon, der über sie wacht.
KAPITEL 3
DEACON
Spätnachmittag, und ein unverschämter Speer Sonnenlicht stößt durch die Vorhänge der Bar, Vorhänge, die man gegen die Sommerhitze und den Sonnenschein geschlossen hat, aus Rücksicht auf die schmerzenden Augen der Tageskundschaft. Das Sonnenlicht sticht sich seinen grausamen oder wenigstens achtlosen Weg durch die Schwaden von Zigarettenrauch und Staub und den säuerlichen Geruch nach abgestandenem Bier. THE PLAZA, nur hat jemand das Schild falsch herum aufgehängt, also sieht es so aus:
Aber das ist lange her und eine lange Geschichte, die allen zum Hals raushängt, oder eine kurze Geschichte, die es einfach nicht wert ist, ständig wiederholt zu werden. The Plaza, und Deacon sitzt allein am Tresen, der schlaksige Deacon mit den hängenden Schultern hat das dritte Bier des Tages vor sich und fürchtet sich davor, dass es sieben Uhr wird, weil dann seine Schicht in der Highland-Wash-N-Fold-Wäscherei beginnt, fünf unermessliche Stunden lang nichts als rumpelnde Trockner und Waschmaschinen, wie die gurgelnden Lungen ertrinkender Männer. Falls er von der Nacht zuvor keinen Kater hat, wird er ihn spätestens dann entwickeln, allein der Gedanke an all diese gottverdammten Waschmaschinen und Trockner, die die halbe Nacht tuckern.
Und dieses Arschloch neben ihm redet und redet, als hätte er gerade eben erst DEN MUND erfunden und würde ihn einem ersten Belastungstest unterziehen; Deacon dreht den Kopf und starrt ihn an, starrt den sehr dicken Mann mit dem ölig-langen Haar und dem schwarzen T-Shirt an, auf dem KILL ALL THE MOTHERFUCKERS steht, ein lächelndes Clownsgesicht und dann in tropfenden roten Buchstaben KILL ALL THE MOTHERFUCKERS. Der Dicke hat am linken Mundwinkel einen Pickel so groß wie eine Erdnuss und Haut so käseweiß wie etwas, das tot an den Strand gespült wurde. Er schlürft sein Bier und quatscht weiter, bevor er geschluckt hat.
«Glaub ja nicht, dass bei den Tunten und Niggern schon Schluss ist», sagt der Dicke. «Dieser ganze Aidsscheiß, das ist doch nur eine Fata Morgana, falscher Alarm, damit wollen sie uns ablenken, bis sie richtig losschlagen, bis die beschissene CIA und das beschissene FBI sich miteinander verbünden und…»
Jedes Wort von ihm ist ein kleiner Nagel, den man Deacon zwischen die Augen hämmert. Er späht hinüber zu Sheryl, einem stangendünnen Mädchen, das den Tresen mit einem grauen Tuch nicht eben gründlich abwischt.
Sheryl tut nicht einmal so, als würde sie dem
Weitere Kostenlose Bücher