Fossil
Dicken noch zuhören, da sollte man eigentlich meinen, das Arschloch merkt was und würde verdammt nochmal die Schnauze halten.
«Fang mir bloß nicht mit Aids an, Mann, dann bin ich noch stundenlang dabei», sagt der Dicke, und das lächelnde Clownsgesicht wackelt wie baumwollweißer Pudding. «Fang mit Aids an, und ich sitz hier noch bis zum Jüngsten Gericht, das schwör ich dir, verdammt. Willst du wissen, wie viel Geld, wie viel von unseren Steuern in die sogenannte Aidsforschung gepumpt wird? Soll ich dir erzählen, dass wir den verdampften Impfstoff schon seit 1975 haben?»
Deacon hebt sein Glas, scheißbilliges Bier, schon lauwarm, aber er muss sich zurückhalten, besser den ganzen Nachmittag an lauwarmem und schalem Bier nippen, als jetzt schon das letzte Geld auszugeben und dann den restlichen halben Tag auf dem Trockenen zu sitzen. Er schluckt, fährt sich mit den schorfigen Fingerknöcheln übers Kinn, die Bartstoppeln wie Schleifpapier, was ihn daran erinnert, dass er wieder vergessen hat, sich zu rasieren.
«Hast du es auch so satt, dem Typen zuzuhören?», fragt er Sheryl. Sie hört auf, den Tresen zu wischen, und schaut Deacon an, ein vorsichtiger Blick, der zu sagen scheint: Vielleicht ist es besser, ihm zuzuhören, bis der Arsch endlich genug hat und verschwindet. Und zwar ist es besser, weil sie Deacon kennt, und ihre Schicht ist in beschissenen dreißig Minuten zu Ende, und Sheryl würde es gern noch bis drei Uhr ohne Schlägerei schaffen. All das liegt in dem müden Blick aus grünen Augen, in diesen verstaubten Smaragden. Deacon nickt und stellt das Glas ab. Sheryl seufzt, laut, ein resigniertes Seufzen, und wendet sich dann wieder ihrem grauen Lappen und dem Tresen zu, als ob vielleicht nichts passiert, solange sie nicht hinsieht.
«Die Lady hat es satt, dir zuzuhören, Freundchen», sagt Deacon.
«Das habe ich nicht gesagt, Deke, du Penner.» Sheryl klingt eher genervt als ängstlich, und Deacon Silvey ist heilfroh, dass es der Dicke ist, mit dem er sich anlegt, und nicht die Barkeeperin.
Der Dicke redet nicht weiter, sondern mustert Deacon, als ob der irgendein exotischer Schimmelpilz wäre, der da auf dem Barhocker wächst. «Was hast du da eben zu mir gesagt?», fragt er, und seine Zunge fährt über aufgesprungene Lippen, leckt nervös an dem riesigen Pickel.
«Natürlich ist sie viel zu höflich, um dir zu sagen, dass du verdammt nochmal die Fresse halten sollst. Trotzdem denkt sie’s. Normalerweise würd ich einfach nur rumsitzen, mein Bier trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Aber weißt du, wenn das Mädchen schon in so einem Loch arbeitet, muss sie ja nicht auch noch dabei einem Idioten wie dir zuhören. Hab ich nicht recht?»
Kein Mucks von dem Dicken mehr, aber sein massiges Gesicht wechselt die Farbe, wird rot wie die Nelken in einem Beerdigungsinstitut, und Sheryl wirft ihren Lappen irgendwo hinter den Tresen, ein Schlangenzischen zwischen den Zähnen, möglicherweise soll das irgendein Wort gewesen sein oder doch nur Wut, die sich einen Weg nach draußen gebahnt hat.
«Ich schwöre dir, Deke, wenn du mit dem Typen während meinem Dienst noch Ärger anfängst, hol ich die Bullen.» Es klingt, als wäre es ihr Ernst, sie greift schön nach dem Telefon neben der Kasse, und der Dicke schweigt noch immer.
«Na, dann sind wir uns ja einig.» Deacon bringt fast ein halbes Grinsen zustande, die Kopfschmerzen sind viel zu schlimm für ein Lächeln, er hebt eine Augenbraue, spannt sie wie den Hahn einer Pistole. «Spar dir einfach den Rest von deinem billigen antisemitischen Verschwörungstheorie-Kack für irgendjemanden auf, der sich dafür interessiert, okay?»
«Bist du irgend so ‘ne Schwuchtel», sagt der Dicke, fragt es eigentlich nicht, sondern stellt es fest, und sein Gesicht hat inzwischen fast genau die Farbe von Erdbeermarmelade.
«Jetzt mal im Ernst, Kollege», sagt Deacon und zeigt auf die Stirn des Typs. «Wenn du dich nicht abregst, platzt dir noch ‘ne Ader oder so…»
«Ich hab schon den Hörer in der Hand, Deke. Siehst du, wie ich ihn von der gottverdammten Gabel hebe?»
«Ja, seh ich, und ich weiß auch, dass du es ernst meinst, Sheryl.» Gerade ruhig genug, damit sie wenigstens in den nächsten fünfzehn, zwanzig Sekunden nicht die Polizei ruft. Also steht sie einfach nur da, den Hörer in der Hand, starrt drohend und kaut an dem anlauffreien Stahlring in ihrer Unterlippe.
«Wir brauchen die Polizei hier auch gar nicht, nicht
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