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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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weiß, wie weh sie Chance mit der Bemerkung tut und dass die es nicht mag, wenn Leute im Haus rauchen. Alice schnippt trotzdem eine Winston aus der halbleeren Packung und zündet sie an, bläst einen einzigen geisterhaft-perfekten Rauchring hinauf zur Lampe über dem Tisch, eine trübe Birne im antiken runden Milchglasglobus.
    «Dr. Bierce erzählt mir immer wieder, wie wichtig deine Arbeit in Parkwood und Pottsville und an der Eisenbahn mit diesen neuen Fischen und Tetrapoden ist. Dass deine Ergebnisse über mittelkarbonische Wirbeltiere für einiges Aufsehen sorgen werden.» Alice zieht an ihrer Winston, ohne den Blick von Chance abzuwenden. «Ahnst du überhaupt, wie stolz Joe auf dich war? Er hätte dich nie gezwungen, Paleo zu studieren, aber du weißt, dass es ihn sehr glücklich gemacht hat, als du es selbst wolltest.»
    «Hör mal, ich brauch diese verfluchte emotionale Erpressung gerade überhaupt nicht.» Die geknurrten Worte entfliehen Chance’ Mund, obwohl sie weiß, dass Alice nur darauf spekuliert hat, provozieren will, nach einem Flintsteinfunken Leidenschaft sucht, und bitte sehr, hier ist er. Wer weiß, vermutlich denkt Alice, sie bekommt vielleicht ein ganzes Feuer zustande, wenn sie noch etwas weitermacht.
    Sie redet weiter, als hätte sie Chance’ Stimme nicht angehört, dass die sich ärgert oder als wäre es ihr egal. «Es geht hier doch nicht darum, was Joe wollte, sondern auch darum, was du willst, Chance. Du bist ein verdammtes Genie, zum Teufel. Das weißt du genau. Ich weiß, dass du es weißt. Und du liebst…»
    «Versuchen Sie nicht, mir zu erzählen, was ich liebe, Dr. Sprinkle», sagt sie, harte, förmliche Worte, die eine Mauer um sie errichten sollen, Titel und Nachnamen, weil sie weiß, dass Vertraulichkeiten nur gegen sie arbeiten.
    «Nenn es, wie du willst. Mir ist es gleich, wie du es nennst. Aber es ist viel seltener als Intelligenz.» Alice tippt sich mit dem bepflasterten Finger kräftig gegen die Schläfe, um das Gesagte zu unterstreichen. «Ich treffe jeden gottverdammten Tag schlaue Leute. Verstand gibt es an jeder Straßenecke, Kindchen. Du bist schlau, aber du machst das alles, weil du sonst kein kompletter Mensch wärst, ein Teil von dir würde fehlen, und du hattest so verdammt viel Glück, weil deine Großeltern da waren, um dich zu unterstützen. Weißt du, was meine Mutter getan hat, als ich ihr sagte, was ich mit dem Rest meines Lebens anzufangen gedenke? Erst mal fragte sie mich, was zum Teufel ein Paläontologe sei, und dann, als ich es ihr erklärt hatte, fing sie an zu heulen. Mein Vater, den interessierte nur, ob das jetzt bedeutete, dass ich lesbisch bin.»
    «Das tut mir leid», sagt Chance. Sie hat von dem ganzen schwarzen Kaffee und ausgefallenen Abendessen Magenschmerzen, Kopfschmerzen von dem Gerede, und die Uhr über dem Herd zeigt fast neun.
    «Egal, ich habe es ja schließlich trotzdem gemacht. Aber wenn sie mich nur ein Mal ermutigt oder wenigstens etwas Verständnis aufgebracht hätten. Wenn sie nur ein Mal wenigstens so getan hätten, als wären sie stolz auf mich. Deshalb lasse ich dich damit nicht in Ruhe, Chance. Es ist genau das, was du wolltest, und Joe war so stolz auf dich.»
    «Das ist unfair.» Chance weiß sofort, dass sie das besser nicht gesagt hätte, eine Schwäche, die sie besser nicht gezeigt hätte. Alice lehnt sich im Stuhl zurück, raucht ihre Winston und beobachtet Chance schweigend.
    «Ich kann im Moment nicht klar denken», sagt Chance, fürs Knurren fehlt ihr inzwischen die Kraft, so ist es fast ein Flüstern. Zitternde geflüsterte Worte, noch eine Minute, und sie weint bestimmt wieder. Das wäre wirklich das Allerletzte: vor dieser unerbittlichen, entschlossenen Frau loszuheulen. «Verstehst du das denn nicht? Ich kann nicht einfach weitermachen, als wäre alles wie immer, als ob sich nichts verändert hätte.»
    Was folgt, ist kein eigentliches Schweigen, aber es sagt auch keine von beiden etwas, zerbrechlichlange Momente, erfüllt vom hereindringenden Geräusch der Insekten draußen. Schließlich atmet Alice aus, ein lautes, zigarettenrauchiges Ausatmen, dann drückt sie die Winston im unbenutzten Unterteller aus, der eigentlich für ihre Kaffeetasse bestimmt war. Chance sieht sie nicht an, starrt stattdessen die Sonnenblumen auf der Tischdecke an, gelbe Blumen mit schwarzen Augen. «Ich finde allein zur Tür», sagt Alice. «Danke für den Kaffee.»
    «Ich brauche einfach nur etwas Zeit, mehr nicht. Nur ein bisschen

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