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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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Zeit», sagt Chance.
    «Ja, ja», antwortet Alice. «Vielleicht brauchst du die. Jedenfalls übernehme ich den Dienstag/Donnerstag für dich, bis du wieder klar bist im Kopf. Wir sprechen uns nächste Woche, Chance.» Und die Frau lässt sie allein in der Küche zurück, mit den dreckigen Porzellantassen und dem Geruch nach Kaffee und Zigaretten.
    Routine, Routine, die kleinen, alltäglichen Arbeiten sorgen dafür, dass sie nicht völlig durchdreht. Chance, staubtrockene Augen, räumt die Küche auf, befreit die Untertasse von Alice’ Asche, spült den alten Percolator aus und schiebt den Kram auf dem Tisch hin und her, sodass er nun anders unordentlich daliegt. Dann trägt sie eine halbvolle Mülltüte raus und stellt sie für das rumpelnde grüne Müllauto an den Straßenrand, das sie mitten in der Nacht abholen wird. Kurze, bedeutungslose Verrichtungen, mit denen sich ein bisschen Zeit totschlagen lässt und bei denen man nicht nachdenken muss, ganz wenig nachdenken muss. Dann knurrt ihr der Magen, ein Gefühl der Leere und Übelkeit, das Chance daran erinnert, dass sie seit dem Frühstück nichts gegessen hat, ihr Magen ist so leer wie alles andere, also öffnet sie eine Dose und isst die Ravioli daraus kalt. Sie sitzt dabei auf dem Fußboden vor dem Fernseher, schaltet sich durch die Programme und schmeckt die Tomatensauce gar nicht und was immer sich hier als Fleisch ausgibt. Auf dem Bildungskanal läuft eine Dokumentation über Korallenriffe vor der Küste Australiens, aber dabei muss sie an die Uni denken, ihre unfertige Doktorarbeit, deshalb schaltet sie weiter, bleibt schließlich bei einem Humphrey-Bogart-Film hängen, an dessen Titel sie sich nicht erinnern kann, Humphrey Bogart als Strafgefangener auf Devil’s Island. Sie stellt den Fernseher laut, damit sie die Geräusche der Sommernacht draußen vor den Wohnzimmerfenstern nicht mehr hören muss.
     
     
    Sie läuft allein durch den Wasserwerkstunnel, durch die schummrig beleuchteten Flure des Mietshauses, wo Elise gewohnt hat, wo sie wohnt, denn sie ist noch nicht tot, weil Chance diesmal nicht zu Hause ist, nicht in ihrem Zimmer sitzt und die Nase in ihre Unterlagen steckt, während Elise hinter einer dieser Türen stirbt. Türen, gestrichen in der Farbe von getrocknetem Blut und Erbrochenem, es sind keine Nummern daran angebracht, nichts, wodurch man die eine von der anderen unterscheiden könnte, und auch keine Türklinken. Wo die Klinken sein sollten, sind nur offene Löcher mit einem Rostrand, Korrosion in derselben absplitternden Farbe wie Blut. Weißes Licht strömt durch die Löcher aus den Zimmern.
    «Wie zum Teufel soll man da herausfinden, wo jemand wohnt», sagt Deacon. Deacon, irgendwo dicht hinter ihr, und sie sagt ihm, er solle die Klappe halten. Sie will ihn hier nicht dabeihaben, schließlich ist es alles seine Schuld, und das weiß er auch. Selbstsüchtig, ja, aber dumm, nein, Elise stirbt seinetwegen, und Chance geht durch die abwärtsspiralenden Flure, die zur Seite kippen und sie herum und herum führen, schwindelerregende Windungen in einem verlassenen Schneckenhaus, die Flure verdreht und die Wände gekrümmt.
    Nein, keine Wohnungen, denkt Chance, Elise ist doch nicht zu Hause gestorben, oder? Da ist Deacon auf einmal vor ihr, sie kann sich gar nicht erinnern, wie er sie überholt hat, aber trotzdem, er ist da, steht vor einer der Türen. Das schmerzweiße Licht aus dem Türklinkenloch beißt in die Beine seiner Jeans, seine zerlumpten schwarzen Tennisschuhe. Er steckt die Finger durch das Loch, schiebt sie ins Licht, in das Zimmer hinter der Tür, und dann gibt es ein hässliches reißendes Geräusch wie rohes Fleisch und Wachspapier, und Chance sieht weg. Feigling, denkt sie, aber das Licht ist auf einmal so hell, so hell, dass es mehr als blendet, und sie fühlt, wie es ihr die Haut verbrennt, ein sengender Hiroshimablitz, der sie ganz verschlucken wird, was bedeutet, dass Deacon die Tür geöffnet hat, dass er sie ‘ gefunden hat.
    Und dann weht ein heißer Wind durch die Flure des Motels, und Deacon ruft etwas, aber der Wind stiehlt ihm die Worte, es bleibt nur die vertraute Hülle seiner Stimme. Chance liegt auf den Knien, schreit seinen Namen und fühlt, wie das Licht in sie eindringt, bis in die Knochen.
    «Man lernt da drüben schon einiges», sagt Elise, und jetzt sitzt Chance auf der Toilette in einem Badezimmer mit dreckigweißen Fliesen an den Wänden, während Elise Alden in der Wanne verblutet. «Oh, nicht so

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