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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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mehr erlebt», sagt Sadie. Chance stellt die Schüssel ins Spülbecken und will Sadie Jasper mitteilen, dass sie das alles nicht hören will, weil sie selbst so viel Zeit ihres Lebens darauf verschwendet hat, sich für Deacon Entschuldigungen auszudenken, aber da wühlt Sadie laut in ihrer silbernen Tasche herum. Es ist ein wirklich lächerliches Teil, das aussieht wie ein verdammter Sarg mit einem auf den Deckel geklebten roten Samtkreuz, Silber oder Chrom, das in der Sonne glänzt. Dann holt Sadie einen Plastikspiegel in Bonbonrosa da heraus, der aussieht, als stamme er aus einem billigen Spielschminkset für kleine Mädchen, und dann noch einen schwarzen Eyeliner.
    «Ich bin satt», sagt Dancy und schließt gewissenhaft die Toppas-Packung, bevor sie sie wieder auf den Tisch stellt neben das indischblaue Zuckertöpfchen, die Milchflasche und die Salz- und Pfefferstreuer, ein Andenken an die Niagarafälle. «Danke», sagt sie zu Chance und wischt sich mit dem Handrücken über den Mund.
    «Bitte.» Chance ist dankbar, dass sie kurz an etwas anderes denken kann als Deacon und Sadie mit ihrem morbiden Death-Rock-Getue. «Hast du wirklich keinen Hunger mehr?»
    «Nein.» Dancy schüttelt Vollkornkrümel von ihrer Hand auf die verblassende, mit Sonnenblumen bedruckte Plastiktischdecke. Sadie hält inne, sieht Dancy an und tippt sich gedankenverloren mit einem Ende des Eyeliners gegen die Schneidezähne.
    «Wie alt bist du eigentlich?»
    Dancy erwidert ihren Blick. Misstrauisch, denkt Chance, die den schnell vorbeihuschenden Ausdruck von Anspannung auf dem Gesicht des Albinomädchens bemerkt, in ihren nelkenroten Augen, so schnell, dass er vielleicht nur eine Täuschung war.
    «Siebzehn», sagt Dancy. «Na ja, also ich werde im September siebzehn.»
    «Scheiße.» Sadie schaut wieder in den Spiegel, konzentriert sich darauf, ihre Augen anzumalen, dass sie aussehen wie eine Öllache. «Dann bist du ja nicht einmal volljährig, Mädchen. Bist du ausgerissen von zu Hause?»
    Wieder diese ängstliche Anspannung, und diesmal ist Chance sicher, dass sie sich in dem Ausdruck nicht täuscht, als Dancy Sadie vorsichtig aus den Augenwinkeln betrachtet. «Nein», sagt sie bestimmt. «Ich laufe vor gar nichts mehr weg.»
    «Jeder läuft vor irgendetwas davon, Kleine, dafür muss man sich nicht schämen.» Sadie sieht über den Rand des Spiegels hinweg zu Chance. «Stimmt doch, oder?»
    «Ich habe mit meiner Mutter und meiner Großmutter zusammengelebt, aber dann starb meine Mutter», sagt Dancy, und jetzt spricht sie wieder mit der Stimme der alten Frau wie eben gerade oben, und Chance läuft es kalt über den Rücken, sie bekommt Gänsehaut auf dem Arm. Für jemanden, der sechzehn ist, sind einfach zu viele Jahre in dieser Stimme eingesperrt. «Schließlich starb auch meine Großmutter, und ich wollte nicht ganz allein leben. Es gab also nichts und niemanden mehr, vor dem ich noch hätte davonlaufen können.»
    «Verdammt, tut mir leid.» Wenigstens klingt es, als wäre es Sadie wirklich unangenehm. Sie wirkt peinlich berührt, als ob sie sich schämt. Chance nimmt die Toppas-Packung vom Tisch und stellt sie zurück in einen der Schränke.
    «Dafür kannst du ja nichts», sagt Dancy und schaut auf den Teppich aus braunen Krümeln auf dem Tischtuch und verwandelt sich gleich wieder in das unsichere Mädchen aus der Bibliothek, sechzehn – nicht fünfundsiebzig. «Niemand kann das.»
    Sadie steckt Spiegel und Eyeliner zurück in die Tasche, holt eine ungeöffnete Packung Camel und ein Einwegfeuerzeug heraus und schaut Chance an, die nur die Schultern zuckt. Sie ärgert sich, ist aber fest entschlossen, das nicht zu zeigen. «Danke», sagt Sadie und pult die Zellophanhülle von der Packung.
    «Wenn ich nur meine Sonnenbrille noch hätte», sagt Dancy und stöhnt leicht wegen des gleißenden Sonnenlichts, das durch das Fenster fällt. Sadie stockt, eine nicht angezündete Zigarette baumelt zwischen ihren schwarzen Lippen, dann holt sie eine orchideenlila Sonnenbrille mit runden Gläsern aus der Tasche und reicht sie Dancy.
    Die sieht Chance an, als wolle sie deren Einverständnis. «Komm schon», murmelt Sadie mit dem Filter der Camel im Mund. «Ich habe immer ein Extrapaar dabei. Hier, nimm sie.»
    «Danke.» Dancy lächelt schüchtern und dankbar und streckt dann die Hand nach der lila Sonnenbrille aus. Ihre alabasternen Finger schließen sich darum, und in diesem Moment knallt eine der Krähen gegen die Scheibe, und Sadie springt

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