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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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die Gelegenheit, wenigstens für einige Minuten Dancys Fragen und Deacons missmutiger, verkaterter Resignation zu entkommen. Sie geht durch den Flur zum Arbeitszimmer ihres Großvaters, die Tür öffnet sie nun zum ersten Mal seit jenem Tag nach Joe Matthews’ Beerdigung. Seitdem scheinen ganze Jahre vergangen zu sein, dabei ist es kaum zwei Wochen her. Sie schließt die Tür wieder hinter sich. Hier drinnen hat sich nichts geändert, nur etwas staubiger ist es geworden, und langsam entwickelt sich der Geruch eines unbenutzten, abgeschlossenen Raums. Chance zieht behutsam an der Messingkette einer der Tiffanylampen und lässt weiches Buntglaslicht die Schatten vertreiben. Es dauert nicht lange, bis sie gefunden hat, was sie sucht. Acht Jahre ist es nun her, dass sie das dicke deutsche Fachbuch geschlossen und zurück auf seinen angestammten Platz im überfüllten Regal gestellt hat, doch sie kann sich noch genau an die Stelle erinnern. Chance holt es herunter und wartet noch einen Moment, bevor sie wieder an der Kette der Lampe zieht und das Zimmer erneut Schatten, Spinnweben und Staub überlässt. Sie denkt daran, was Alice Sprinkle vor zwei Tagen abends zu ihr gesagt hat und wie unheimlich und seltsam sich die Dinge in kürzester Zeit entwickelt haben.
    «Na, was zum Teufel würdest du jetzt tun, Alice?», sagt sie. Das Geräusch beim Ausschalten der Lampe klingt plötzlich sehr laut in dem kleinen, still daliegenden Zimmer.
    Im Wohnzimmer sitzt Dancy inzwischen aufrecht da, mit einigen fein säuberlich aufeinandergestapelten Kissen im Rücken, die karamellfarbene Decke von Tante Josie liegt noch immer auf ihren Beinen. Sadie neben ihr auf dem Sofa mit dem Arm um ihre Schultern, und Deacon hat sich nicht vom Fenster wegbewegt. Er steht da, als würde sein Kopf ihn nicht umbringen und sein Magen sich nicht beschissen anfühlen, als ob er nicht dringend einen Drink brauchte, obwohl Chance genau weiß, wie schlecht es ihm geht. Trotzdem ist sie froh, dass er versucht, es nicht zu zeigen. Wenigstens etwas, denkt sie.
    «Okay, Dicranurus. » Sie legt das Buch vor Dancy und Sadie auf den Couchtisch, schlägt es auf, blättert die alten Seiten vorsichtig um, bis sie bei der richtigen angekommen ist. Dabei versucht sie, nicht darüber nachzudenken, wann sie das Buch zum letzten Mal aufgeschlagen hat, dass sie sich nie die Mühe gemacht hat, ihren Großvater danach zu fragen – entweder weil sie es vergessen hat oder weil sie es eigentlich gar nicht wirklich hatte wissen wollen. Sie tut, als bemerke sie die Gänsehaut auf ihren Armen nicht, auf den Beinen unter ihren Jeans. Und da sind sie, vier Abbildungen des Dicranurus monstrosus: dorsal, frontal, lateral von links und dann eine vergrößerte detaillierte Zeichnung des dornenbesetzten Kopfes, der Cephalon, und schließlich der nachlässig gezogene rote Buntstiftkreis, der die vier Abbildungen einschließt. Chance dreht das Buch herum, damit Dancy die Bilder sehen kann.
    Das Albinomädchen beugt sich vor und mustert angestrengt die vergilbte Seite durch die Gläser ihrer Sonnenbrille, streckt eine Hand aus und berührt das Papier mit einem Zeigefinger. «Die sehen aus wie Pfeilschwanzkrebse», sagt sie, und Chance zuckt die Schultern.
    «Na ja, Pfeilschwanzkrebse sind eher mit Spinnen als mit Trilobiten verwandt, aber okay, wahrscheinlich besteht da wirklich eine gewisse Ähnlichkeit. Es sind beides Anthropoiden.»
    «Hässliches kleines Viech», sagt Sadie, und Dancy schaut sie an, bevor sie den Blick wieder auf das Buch richtet.
    «Pfeilschwanzkrebse habe ich manchmal in den Sümpfen hinter unserem Haus gefunden», sagt Dancy. «Die waren riesig.»
    «Dieser Käfer hier war nicht mehr als ein paar Zentimeter lang.» Chance hebt die Hand und zeigt Dancy mit Daumen und Zeigefinger die ungefähre Größe, damit die versteht, was sie meint. «Hässlich vielleicht, aber nicht sonderlich groß.»
    «Warum hat jemand einen roten Kreis darum gezogen?», fragt Dancy und ist jetzt vollkommen auf die Zeichnungen des grotesken Wesens konzentriert. Erwartungsvoll sieht sie Chance an, harrt einer Antwort, doch die kann nur den Kopf schütteln und die Schultern zucken.
    «Das weiß ich nicht genau. Meine Großmutter hat zur Zeit ihres Todes über diese Trilobiten geforscht, glaube ich.»
    «Als sie sich umgebracht hat», erklärt Deacon kühl vom Fenster, ohne sich umzudrehen.
    «Ja», sagt Chance und starrt über ihre Schulter hinüber zu Deacon. «Als sie sich umgebracht

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