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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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von Monstern», sagt Dancy. «Sie wusste Bescheid über die Kinder Kains und die Nachtläufer.» Ihre Stimme verrät noch immer dieselbe Aufregung, die jetzt allerdings gedämpft wird von heiligem Eifer. Ihr seid alle wahnsinnig, denkt Chance, total durchgedreht, fast sagt sie es laut, und dann zieht Dancy etwas aus der Kiste, ein dickes Notizbuch. Sie betrachtet es einen Moment, dann reicht sie es an Chance weiter.
    «Das hat meiner Großmutter gehört», sagt die und hört, wie niedergeschlagen es klingt, vielleicht auch eine Spur überrascht, während sie die erste Seite liest, sie liest nicht laut vor, weil, was da steht, Dancy und Sadie ohnehin nichts sagen würde. «Beobachtungen über die Trilobiten der Red Mountain Fm. U. und M. Silur, Alexandrinisch-Lockportianisch, Alabama Valley und Ridge Province», daneben das Datum, März 1991, alles in der engen, fast nicht lesbaren Schrift ihrer Großmutter auf die Seite gekritzelt.
    «Daran hat sie gearbeitet, als sie gestorben ist», sagt Chance und blättert die Seiten durch. Ungefähr die ersten hundert sind mit Esther Matthews’ Handschrift und eilig hingeworfenen Skizzen verschiedener Trilobitenarten bedeckt, von denen einige allgemein bekannt, andere geheimnisvoller sind. Der Rest des Notizbuchs scheint sich mit Problemen der Geometrie zu beschäftigen. «Warum zum Teufel liegt das hier versteckt und zugenagelt im Abstellraum?»
    Dancy hat inzwischen noch etwas anderes aus der Kiste hervorgeholt und hält es nun hoch, damit Chance es sehen kann. Es ist ein großes Stück purpurfarbenen Steins, ein Stein in der Farbe von getrocknetem Blut. Chance genügt ein Blick. Das ist Eisenerz, ein faustgroßer Brocken aus Sandstein und Hämatit vom Red Mountain. «Dicranurus», sagt Dancy und lächelt dabei, die ernste Dringlichkeit von eben ist aus ihrer Stimme gewichen. Stattdessen scheint sie stolz auf sich zu sein.
    Chance nimmt ihr den Stein ab und mustert ihn. Tatsächlich sind an einer Ecke fünf oder sechs Trilobiten zu erkennen, der größte kaum länger als vielleicht vier Zentimeter in der Breite, dunkelglänzende Exoskelette, die sich im granulösen Sandstein erhalten haben. Ein Ring aus Kratzern umgibt die Fossilien, wo Chance’ Großmutter mit kleinen Meißeln und Pickeln das harte Material abgelöst hat. Es existiert nicht der geringste Zweifel, um welchen Trilobiten es sich handelt: die bizarre Form, die geschwungenen okzipitalen Stacheln, die aussehen wie Widderhörner. «Verdammt», flüstert Chance. Dieser Stein ist zu alt, mehrere Zehnmillionen Jahre älter als alle bekannten Funde des Dicranurus. Die Fossilien hier müssen ungeheuer wichtig für ihre Großmutter gewesen sein, sind bestimmt eine ganze neue Art oder gar noch etwas anderes.
    «Und jetzt dreh ihn um», sagt Dancy.
    Erst kann Chance sich nicht losreißen von den erstaunlichen kleinen Tieren in dem kastanienbraunen Stück Erz. Ganz gleich, was sie sich da ansehen soll, es kann nicht halb so unglaublich sein wie diese Fossilien. «Bitte», sagt Dancy. «Es ist wichtig.» Also dreht Chance den Stein um, auf dessen Unterseite sie weitere Trilobiten vermutet.
    «Deshalb hat dein Großvater diese Sachen versteckt», sagt Dancy. «Deshalb musste deine Großmutter sterben.»
    Soweit Chance es beurteilen kann, ist das lediglich ein weiteres Fossil, kein Trilobit, sondern etwas, das sie noch nie zuvor gesehen hat. Sie hält den Stein dichter an die Augen, dreht ihn, sodass er sich vor das Sonnenlicht vom Fenster schiebt. Im Stein ist eine Form mit den Umrissen eines Sterns zu erkennen, kaum größer als eine mittelgroße Münze, in der Mitte ist etwas wie ein Polyeder, eine polyedrische Struktur mit sieben Seiten, soweit Chance es ausmachen kann, möglicherweise sind es aber auch noch mehr. Die glatte Oberfläche glitzert im Licht.
    «Was magst du sein?», fragt sie den Stein, als ob er ihr antworten könnte. Dann hält Dancy ihr noch etwas anderes hin, zwingt sie, den Blick von dem merkwürdigen Fossil abzuwenden. Es ist eine kleine Flasche, eine altmodische Medizinflasche, denkt Chance, ein geschliffener Glaspfropfen steckt fest in der Öffnung, im Innern befindet sich ungefähr fingerbreithoch eine teefarbene Flüssigkeit. Chance legt das Notizbuch auf einem Karton ab, in dem früher Dosenmais lagerte. «Fort Payne Chert, Happy Hollow, 65» steht auf der einen Seite in der Handschrift ihres Großvaters zu lesen. Chance nimmt Dancy die Flasche ab.
    «Damit hat alles begonnen», sagt das

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