Fossil
schauen, und dann steht er dort drüben am Waldrand und beobachtet sie, als hätte er keine Angst vor der Sonne oder Gewehren oder Engeln oder sonst irgendetwas. Anlächeln wird er sie, wird ganz aus Reißzähnen und Haut bestehen, die so schwarz ist wie Schlacke und Blacksnakes, und Julia Flammarions getrocknetes Blut wird noch immer in seinem verzottelten Haar kleben.
Es gibt Gedanken, die selbst das starke Herz schwächen…
«Sie haben zwei riesige Läufer in der Ödnis gesehen», sagt der Engel, die Engelssprache lässt die Sonne kalt erscheinen, kalt wie ausgeglühte Asche.
«Ich hör nicht mehr auf dich», flüstert Dancy böse, alles, was sie verloren hat, und alles, was sie noch verlieren wird, ist in dieser Stimme verpackt wie ein Weihnachtsgeschenk für den Engel. «Ich spiele nicht mehr den verdammten Schlachter für dich.»
Feuer tropft von den Lippen des Engels und brennt sich in den Boden, tropf, tropf, tropf wie geschmolzenes Blei, und Dancy hört, wie Regen auf die Teerpappe des Hüttendachs fällt. Dicke Sommerregentropfen, es ist der köstlichste Laut der Welt, fast so wunderbar wie das Ende eines schlimmen Fiebers, köstlich wie reife rote Äpfel.
«Von seinem Vater wussten sie nichts, wussten nicht, ob er Brüder hat unter den bösen Wesen», brüllt der Engel und murmelt und heult, alles auf einmal, weil er nicht bemerkt hat, dass es regnet, oder es ihm egal ist.
Der kalte Regen prasselt gegen das Dach, und Dancy schließt die Augen, es tut so gut, endlich die Augen zu schließen und nichts zu hören als den Regen, der immer stärker und stärker wird. Es ist ihr egal, dass der Engel weiterredet oder dass es so alles gar nicht passiert ist. So passiert es diesmal, und das soll ihr reichen.
«Du kannst hier nicht schlafen», sagt ihre Großmutter, die alte Frau mit ihrem Rosenkranz und dem Gewehr, die sich dicht über sie beugt, eine alte Frau, die nach Staub und Pfefferminzbonbons riecht.
«Und wieder liegt die Rettung bei dir», sagt der Engel, der nach nichts Irdischem riecht.
«Aufwachen, du kannst hier nicht schlafen, junge Dame.» Dancy will nie mehr aufwachen, wünscht, der Regen würde sie schmelzen lassen wie ein Stück Zucker, würde sie langsam fortwaschen, bis nichts von ihr übrig ist als ein klebriger Fleck auf dem Bett, aber die alte Frau schüttelt sie. Als Dancy die Augen öffnet, ist es gar nicht ihre Großmutter, sondern eine andere alte Frau, die von der Sprinkleranlage ganz nass ist, sie schüttelt Dancy, damit sie aufwacht auf dem Rasen vor der Kirche.
«Du kannst hier nicht schlafen», sagt die alte Frau noch einmal ungnädig. Dancy starrt zu ihr hinauf, die Wange in das nasse tröstliche Gras gepresst, ihre Kleider sind vollkommen durchweicht. Nachdem Dancy nun wach ist, zieht die Frau sich auf den Bürgersteig zurück, wo der Wassersprenger nicht hinkommt. «Bitte, bringen Sie mich nicht dazu, dass ich die Polizei rufen muss, Miss», sagt sie. «Ich würde die Polizei wirklich sehr ungern rufen.»
Dancy setzt sich auf und wischt sich das Wasser aus den Augen. Ihre Haut hat die Farbe von rosafarbenen Nelken angenommen, wer weiß schon, wie lange sie da vor der Kirche gelegen hat, während die Sonne auf sie niederbrannte. Dancy zittert jedenfalls. Ihre Mutter hat ihr genau erklärt, was alles passieren kann, falls sie jemals einen schlimmen Sonnenbrand bekommt. Sie greift nach ihrem Seesack, der nicht weit entfernt von ihr auf dem Rasen liegt, und da erinnert sie sich fast daran, wie sie hierhergekommen ist.
«Es geht doch nicht, dass Leute hier einfach auf dem Rasen einschlafen», sagt die alte Frau und klingt dabei inzwischen ebenso verwirrt wie erbost. «Dies ist ein Haus Gottes, da können nicht irgendwelche Wildfremden davor auf dem Rasen schlafen.»
«Tut mir leid», sagt Dancy, und der Schauer aus dem Wassersprenger geht über sie hinweg, ein paar Sekunden Regen, dann ist es wieder vorbei. «Ich hatte nicht vor zu schlafen.»
«Na gut, okay», murmelt die alte Frau. «Trotzdem verstehst du ja wohl, dass wir nicht dulden können, dass irgendwelche Leute hier einschlafen.» Also steht Dancy auf und nimmt ihren Seesack. Jeder Zentimeter unbedeckter Haut sieht aus, als hätte sie in einem Ameisenhaufen gelegen, doch sie macht sich dennoch auf den Weg, wartet nicht einmal, bis die Ampel grün wird, geht einfach über die Straße und findet sich drüben im Schatten einer Ulme wieder, die vor der Postfiliale wächst. Die alte Frau beobachtet sie immer noch,
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