Fossil
wenn man ihn zu intensiv anschaut.
Das Geschnüffel hört auf, dafür hört man jetzt etwas anderes, es klingt wie das atemlose, feuchte Hecheln eines Hundes mit gesprenkelten Lefzen, und darunter, ganz leise, fast leiser als Chance’ eigener Herzschlag, ein Laut, den kein Hund machen kann. Ein pfeifender, zufriedener Seufzer und dann ein Lachen, das nichts von einem Lachen hat, ein dünner angestrengter Ton, der versucht, als Lachen durchzugehen. Und ein langer Schatten fällt auf das brüchige Betonquadrat vor der Tür, ragt über die Schwelle und ins Labor hinein, ein kauernder lachender Schatten, als ob die Sonne auf das Spottbild eines Hundes scheint, der notdürftig aus Stöcken und Zaundraht zusammengeflickt wurde.
Chance dreht sich um und läuft, keine Zeit mehr für logische Erklärungen, keine Zeit mehr zu beurteilen, was im Bereich des Möglichen liegt und was nicht, während dieser Schatten auf sie zugleitet und seinen Verursacher dicht hinter sich herzieht. Sie läuft den langen Flur hinab, der das Labor in der Mitte teilt, macht sich nicht die Mühe, lange nach dem Lichtschalter zu tasten. Die Tür an der anderen Seite kann kaum weiter als fünfzig Meter entfernt sein, fünfzig Meter pechschwarzer Dunkelheit. Das einzige Licht im Gebäude brennt da, woher Chance gerade flieht. Sie kann es jetzt hinter sich hören, das unregelmäßige Klackern und Kratzen von Klauen auf dem Betonboden, das hechelnde Geräusch. Und dann rennt sie gegen die Tür. Chance prallt so heftig dagegen, dass sie fast fällt, Sterne sieht oder auch nur nadelstichgroße Löcher im Dunkel. Einen langen schrecklichen Moment lang kann sie die Türklinke nicht finden, und dann noch einer, weil zugesperrt ist und sie nach dem Sicherheitsschloss tasten muss. Sie ist sicher, dass sie nicht allein ist im Flur, dass das schnüffelnde, lachende Ding aufweinen langen Stelzenbeinen, seinen Besenstielbeinen, durch den Flur stakst, und dann schnappt der Riegel zurück, die Tür schwingt auf, und Chance stolpert ins Tageslicht. Fällt fast wieder, und rennt mindestens dreihundert Meter über Kies und Asphalt, bevor sie anhält und hinter sich schaut. Es ist nichts zu sehen außer der offenstehenden Labortür und der Dunkelheit, die sich dahinter verbirgt.
Dancy weiß ganz genau, wo sich der Eingang zum Wasserwerkstunnel befindet, sie hat genügend Stunden und Tage in der Bibliothek damit zugebracht, Karten und Zeichnungen des Red Mountain in einem Buch namens Birmingham kompakt zu studieren. Schließlich hat sie das Buch mit aufs Klo geschmuggelt und alle relevanten Seiten vorsichtig herausgerissen. Seitdem bewahrt sie sie zusammengefaltet unten in ihrem Seesack auf, für den Fall, dass sie etwas vergisst. Aber sie hat nichts vergessen, muss den nassen Seesack nicht öffnen und die Karten suchen, weil sie weiß, dass sie der 19. Straße Richtung Süden folgen muss, und zwar, bis die in einer Sackgasse in den Valley View Park mündet. Es ist wahrscheinlicher, dass die Straßen ihren Weg vergessen. Dancy läuft weiter, muss abbiegen, wo sie geradeaus will, ist bestimmt dreimal im Kreis um die Ramsey High School gelaufen, es ist fast wie an ihrem neunten Geburtstag, als ihre Mutter mit ihr im Bus nach Milligan zum Jahrmarkt gefahren ist. Ein großer lauter Rummelplatz am Stadtrand, und Dancy hat sich im Spiegelkabinett verlaufen. Fast genauso ist es, dreimal um denselben Block zu laufen, wenn die Straßenschilder lügen und man an Ecken vorbeikommt, die gar nicht da sind, bis man über die Schulter schaut.
Die Sonne geht unter, steht schon zu tief, um Dancys Sonnenbrand noch zu verschlimmern, und die Luft wird kühler. Allerdings fühlt Dancy sich dadurch kaum besser, weil ihre Haut bereits die Farbe eines gekochten Hummers angenommen hat. Auf ihrer Hand haben sich dicke Blasen gebildet, und ihr tut abwechselnd alles weh, oder sie friert und schwitzt. Bestimmt hat sie Fieber, und bald ist es dunkel, und dann müssen sie keine Spielchen mehr mit Straßenecken spielen.
Dancy schaut auf, bleibt stehen und zählt die Fugen zwischen den Gehwegplatten, zählt die eigenen Schritte ab und bemerkt, dass sie schon wieder vor der Highschool steht. Die Schnittwunde an ihrer Hand blutet, frische Blutstropfen regnen auf den Zement zu ihren Füßen nieder, und ihr anderer Arm ist ganz gefühllos vom Tragen des Sacks. Sie lässt die schwere Tasche von der Schulter zu Boden plumpsen und schaut hinauf in den hohen wolkenlosen Himmel. Es wäre so leicht,
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