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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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als hätte sie Angst, dass Dancy sofort zurückkommt, sobald sie ihr den Rücken kehrt. Dancy lächelt ihr zu, aber die alte Frau glotzt nur misstrauisch von ihrem trockenen Flecken auf dem Bürgersteig herüber.
    Das Geschirrhandtuch hat sich von Dancys Hand gelöst und liegt jetzt blutverschmiert drüben auf dem Rasen vor der Kirche. Der Schnitt hat sich zornig verfärbt, seine Enden leuchten gefährlich rot, er ist hart und beginnt anzuschwellen. Dancy kann keine Faust machen, dafür tut es zu weh. Sie holt tief Atem. Die Luft ist so heiß, dass Dancys Haare und Kleidung schon anfangen zu trocknen. Sie schaut über die Schulter die steile Straße hinauf, die in die Berge führt und zum Wasserwerkstunnel. Ich weiß genau, was passieren wird, denkt sie, denn das tut sie wirklich, und weil sie es weiß, geht Dancy weiter.
     
     
    Nachdem Alice fort ist, stellt Chance den antiken Ventilator auf einem der Regale an, damit er die verrauchte stehende Luft hin und her bewegt. Nicht dass das in dieser Hitze wirklich etwas bringen würde. Eine kurze Computerrecherche ergibt, dass eine ganze Schublade voller Fossilien aus der Umgebung der Haragan-Formation im Coal Country, Oklahoma, im Schrank 25, Schublade 4 lagert. Uralte Muscheln und Exoskelette in mergeligem Kalkstein gefangen oder gleich ganz aus dem Stein gewaschen, die jetzt auf Pappe und in Glasgefäßen lagern. Darauf kleben handbeschriftete Etiketten, die Hunderte von Brachiopod-Muscheln und netzartigen Bryozoen, Runzelkorallen und Trilobiten als solche ausweisen, alle von Chance’ Großmutter geschrieben. Umständlich und vorsichtig konservierte Trilobiten mit lyrischen und zungenbrecherischen Namen wie Leonaspis williamsi und Huntonia lingulifer, und ganz hinten in der Metallschublade befindet sich ein Ceratonurus und verschiedene große Exemplare der Unterart Dicranurus hamatus elegans.
    Chance zieht sich einen Stuhl heran, holt sich den Brocken aus Sandstein und Eisenerz und verbringt dann fast eine volle halbe Stunde damit, ihn mit den Funden aus Oklahoma zu vergleichen. Wirbellose sind nicht ihr Spezialgebiet, stattdessen hat sie stundenlang über den Überbleibseln von Fischen und Tetrapodenschädeln gebrütet. Trotzdem fällt ihr auf, dass die Trilobiten aus der Kiste nahezu identisch sind mit den Dicranurusexemplaren aus Haragan. Die Fossilien aus Oklahoma sind dabei ungefähr fünfzigtausend Jahre jünger und nicht ganz so gut erhalten, aber es ist dieselbe Gattung, wenn nicht sogar dieselbe Spezies.
    «Und was genau hat das zu bedeuten?», fragt Chance, leise eigentlich, aber im leeren Labor klingt es laut. Ihr Kopf platzt vor lauter Fragen, von denen die meisten nicht das Geringste mit Trilobiten zu tun haben. Nein, das wäre doch sehr einfach, denkt sie. Sehr einfach und weit weniger bedrohlich als die Geister, die diese Kiste voller Merkwürdigkeiten heraufbeschworen hat, viel ungefährlicher, als sich daran zu erinnern, was sie in der stürmischen Nacht, in der ihre Großmutter sich erhängte, gehört oder nicht gehört haben mag. Was sie über ihren Großvater weiß oder nicht weiß. Wieso hat er diese Dinge hier versteckt, warum hat er Esther Matthews’ letzte große Forschungsarbeit in einer Kiste beerdigt, statt sie selbst zu beenden? Ihr ist jetzt klar, dass sie sich in jener Nacht über diese Fossilien gestritten haben müssen, vielleicht auch über das Ding in der Glasflasche, aber warum nur? Die Trilobiten waren mit großer Wahrscheinlichkeit eine neue, bisher nirgendwo beschriebene Spezies. Ein Dicranurusfund aus dem Silur wäre ein kleines, aber bedeutendes Kapitel in der langen Geschichte der Trilobitenevolution, ein Beweis dafür, dass ein Strang der Gattung weit älter ist als bisher vermutet. Solche Entdeckungen sind nicht gerade revolutionär, ihre Großmutter hat ihr Leben damit verbracht, solche Probleme zu untersuchen.
    Chance schiebt die Schublade mit den Haraganfunden wieder zurück in den Schrank, macht die Tür davor zu und schließt ab. Eine Menge Fragen an einen Toten hat sie nun, weiß aber nicht einmal, ob es nicht besser ist, sie unbeantwortet zu lassen. Möglicherweise hat Alice recht. Es ist wahrscheinlich wirklich am sinnvollsten, die Dinge aus der Kiste an die entsprechenden Experten weiterzugeben, damit die deren Rätsel lösen, die wissenschaftlichen zumindest, und dass man an die anderen nicht rührt. Offenbar gab es Geheimnisse zwischen Chance’ Großeltern, von denen sie besser nichts weiter erfährt, es sind

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