Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
Vom Netzwerk:
sich um irgendeine Art Amphineura handelt», sagt Alice Sprinkle und schaut durch die schwarzen Gummilinsen des Doppelmikroskops. Das Ding aus der Flasche liegt jetzt auf einem kleinen Glasplättchen in etwas Alkohol, damit es nicht austrocknet. «Aber das ist keine Polyplacophora», sagt sie, lehnt sich im Stuhl zurück und greift nach der Winstonpackung auf dem Tisch. «Die Kiemenzahl stimmt, und das da sieht aus wie kalkhaltige Nadelfortsätze zwischen den Panzerplatten, aber die Platten selbst stimmen einfach überhaupt nicht. Erstens zeigen alle Käferschnecken eine Abfolge überlappender dorsaler Platten. Aber dieses Ding hier hat eine dorsale und eine ventrale Plattenkette, die den Körper fast ganz einhüllen und so keinen Platz für den funktionalen Fuß lassen. Also kann es keine Amphineura sein. Ich glaube nicht einmal, dass es überhaupt eine Molluske ist.»
    Alice holt eine Zigarette aus der Schachtel und steckt sie an, dann bläst sie den Rauch vorsichtig fort von Chance, die neben ihr sitzt und auf das Ding starrt.
    «Ein Wurm ist es auch nicht», sagt Chance gedankenverloren, die Möglichkeit haben sie schon vor einer halben Stunde ausgeschlossen.
    «Nee», sagt Alice, «kein Wurm.» Sie legt die Zigarette auf einem Aschenbecher ab, der aus einer riesigen versteinerten Austernschale gefertigt ist, und schaut noch einmal durchs Mikroskop.
    «Kein zerebraler Ganglion zu erkennen und auch keine sichtbaren Sinnesorgane, außer die ganzen Härchen in der Mittelreihe wären dafür gedacht. Trotzdem hat der kleine Scheißer einen Mund, darauf kannst du wetten.» Alice nimmt eine Nadel, piekt damit sanft gegen das vordere Ende des Dings und zieht dort die Panzerplatten auseinander. Chance beugt sich näher und schaut Alice über die Schulter. «Da sieht man eine Radula. Hängt an der Unterseite von etwas, das der Darm sein dürfte», sagt Alice. «Fast wie bei einer Schnecke, also vermute ich mal, wir haben es hier mit einem Räuber zu tun. Und schau dir das mal an.» Alice zeigt mit der Nadel auf den hinteren Teil des Dings.
    «Die Hülle ist gerissen, und die letzten Platten sind gebrochen, als ob etwas das Ding durchgebissen hätte oder es in der Mitte durchgeschnitten wurde, also, was immer das hier sein mag, wir haben nur ein halbes Exemplar. Ja, so muss es wohl sein.» Sie hebt den Kopf, reibt sich die Augen und schiebt den Stuhl vom Tisch weg. «Hier, sieh selbst.»
    Chance beugt sich über das Mikroskop, erkennt aber nur einen staubigen, verschwommenen Flecken, also spielt sie an der Feineinstellung, dreht die Knöpfe hoch und herunter, bis sich der verschwommene Fleck auflöst, feste Konturen annimmt und sie das Ding aus der kleinen Flasche sieht, nur zehnfach vergrößert. Es war auch vorher schon widerlich, aber so wirkt es wie das Monster aus einem Horrorfilm.
    «Ich weiß ja, dass du die letzten Jahre mit deinen Fischen und Salamandern und solchem Kram vertrödelt hast», sagt Alice, und in ihrer Stimme schwingt ein winziger Hauch gespielter Beleidigung mit, weil sie Chance einmal gern dazu gebracht hätte, wirbellose Fossilien zu studieren. «Deshalb begreifst du möglicherweise nicht, wie abgefahren eigenartig dieses Ding ist.»
    «Es schwant mir langsam.» Chance dreht das Nasenstück des Mikroskops auf die nächsthöhere Stufe, also auf vierzigfach, und erblickt einen gepanzerten Kopf. Mit Hilfe kleiner Zangen bewegt sie es, um einen besseren Blick auf die verhornte Radula zu bekommen, eine rosaweiße Zunge wie eine zwergenhafte Feile, eine Zunge, die dafür gemacht ist, sich durch die harte Schale anderer Tiere zu bohren.
    «Dann dürfte dir klar sein, dass wir das jemandem aus der Biologie zeigen müssen, der sich etwas besser mit noch lebenden Tierarten auskennt», sagt Alice, aber Chance schüttelt den Kopf.
    «Denk an dein Versprechen.»
    «Ja, ja», antwortet Alice, beleidigt, geschlagen, und sie klingt mehr als nur ein bisschen genervt. Sie gehört nicht zu den Leuten, die aus ihren Gefühlen einen Hehl machen. «Ich habe es versprochen», seufzt sie.
    «Jetzt wollen wir uns das hier mal ansehen», sagt Chance und wechselt das Thema. Sie tut, als hätte sie nicht bemerkt, dass Alice genervt klingt, darüber kann sie sich später noch hinreichend Gedanken machen. Sie schiebt das Mikroskop weg und greift in die Kiste, und diesmal holt sie wirklich den Brocken aus Sandstein und Hämatit hervor. «Du verstehst doch eine Menge von Trilobiten.»
    «Na ja, deine Großmutter bin ich nicht,

Weitere Kostenlose Bücher