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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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nicht mehr zählen, wie oft sie sich innerhalb der letzten zwanzig Minuten, seit sie das Büro betrat, bereits entschuldigt hat.
    «Ja, das betonst du immer wieder.» Alice holt noch einen Streifen Juicy Fruit aus der Packung auf dem Schreibtisch und macht das Silberpapier vom Kaugummi ab, ohne dabei die Augen von Chance zu wenden. «Aber bisher klingt es nicht so, als ob es dir wirklich ernst damit wäre.»
    «Natürlich ist es das», sagt Chance. «Das war die Arbeit meiner Großmutter und ein bedeutender Fund. Ich weiß nicht, was du noch von mir erwartest, Alice. Ich weiß nicht, was du noch von mir hören willst.»
    Alice mustert sie einen Moment lang schweigend mit demselben kalten Blick, mit dem sie ihre Tierchen unter dem Mikroskop studiert, wie etwas, das erst klassifiziert und dann katalogisiert werden muss, etwas, das beschriftet und am Ende sorgsam verstaut werden muss. «Könntest du dich etwas mehr bemühen, mir das alles zu erklären?», sagt sie endlich.
    «Wie denn noch? Ich habe dir doch erzählt, was passiert ist. Dreimal schon.»
    «Genau. Ein streunender Hund kam ins Labor und hat Jagd auf dich gemacht», sagt Alice und bemüht sich nicht einmal, ihre Skepsis zu verschleiern. «Das hat dir solche Angst eingejagt, dass du einfach nach Hause abgehauen bist und zwei Stunden lang nicht einmal auf die Idee kamst, jemanden anzurufen, um Bescheid zu sagen. Das hast du mir erzählt.»
    Chance seufzt und schaut auf ihren Rucksack, der zwischen ihren Stiefeln steht. Das Notizbuch ihrer Großmutter ist darin, und sie war die halbe Nacht wach, um das verdammte Ding zu lesen. Doch mit jeder umgeblätterten Seite begriff sie dabei immer weniger. Es fing mit genauen Notizen an, aus denen später undatierte und zusammenhanglose Spekulationen wurden, gespickt mit Zahlenreihen, langen linearen und binomischen Gleichungen sowie geometrischen Figuren. Das Buch erschreckt Chance, dennoch schaut sie im Moment lieber darauf, als sich Alice’ zweifelndem Blick zu stellen. Die Zweifel könnten auch Vorwürfe sein, und Chance würde am liebsten einfach nur hören, dass sie sich das alles lediglich eingebildet hat oder lügt, und dann wären sie durch mit dem Thema.
    «Das ergibt doch alles keinerlei Sinn», murmelt Alice, flüstert es fast, während sie ihren kittgrauen Streifen Juicy Fruit inspiziert, ihn doppelt faltet und dann in den Mund steckt. «Welches Interesse soll denn jemand an dem Krempel in der Kiste haben, ja, tatsächlich ausschließlich an dem Krempel in der Kiste? Soweit ich das beurteilen kann, haben sie die Computer nicht angerührt und nicht einmal versucht, die Schubladen zu durchwühlen, nichts von dem, was man gut verkaufen könnte, wurde also…» Sie unterbricht sich, kaut nachdenklich ihr Kaugummi und starrt unverwandt auf das Durcheinander aus Nachdrucken und unkorrigierten Hausarbeiten auf ihrem Schreibtisch, nimmt dann einen Bleistift und klopft mit dessen Radiergummiende auf einem Stratographie-Lehrbuch voller Kaffeeflecken herum. «Ich würde dich das nie fragen, wenn ich nicht davon ausgehen müsste, dass die Polizei es tun wird, und es ist bestimmt besser, du hörst es erst von mir.»
    «Was willst du wissen?»
    Alice legt den Bleistift wieder hin und sieht Chance an; ihr Gesichtsausdruck verrät, welchen Widerwillen ihr die Frage bereitet, ja, es ist mehr als nur Zögern. Das will so gar nicht zu Alice passen, die sonst immer so verdammt selbstsicher ist, so vollkommen selbstbewusst.
    «Dir war es gestern wahnsinnig wichtig, den Inhalt der Kiste geheim zu halten. Also habe ich mich gefragt, ob es möglich ist, dass du es dir noch einmal anders überlegt hast, nachdem ich weg war. Vielleicht hast du es plötzlich doch für einen Fehler gehalten, dass du mir die Sachen gezeigt oder die Kiste überhaupt mit ins Labor gebracht hast…?»
    «Das ist nicht dein Ernst», stöhnt Chance und steht mit einem beleidigten und frustrierten Seufzen auf, das alles ausdrückt, was sie fühlt. Sie greift nach dem Rucksack, damit sie abhauen kann, jeder andere Ort auf der Welt ist ihr gerade lieber.
    «Nein, Chance, warte», sagt Alice. «Bitte, versteh doch, ich versuche nur, das Ganze zu begreifen.»
    «Ich habe dich nicht angelogen, verdammt. Warum glaubst du, das wäre eine logische Erklärung, zum Teufel? Ich habe dich noch niemals angelogen.»
    «Tut mir leid, es klingt nur plausibler als ein Dieb, der lediglich die alte Kiste mitnimmt und sonst alles liegenlässt. Versuch doch mal, es aus der

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