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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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ganzen Schotters, auf dem man halbwegs bequem sitzen konnte, und begann, die harten Mineralisationskeime mit einem Fäustel aufzuklopfen. Wenn sie Glück hatte, fand sie in einem davon vielleicht den Abdruck eines Insekts, einer Qualle oder eines primitiven garnelenartigen Krebses, irgendetwas Ungewöhnliches und Seltenes aus den heiß dampfenden Karbonflüssen und brackigen Lagunen. Die meisten Konkretionen waren natürlich leer, dabei aber immer noch interessanter als Farne, und sie musste über eine Stunde totschlagen, bevor sie den Minibus wieder beladen durfte, um nach Birmingham zurückzukehren.
    Chance hatte nun ungefähr sechzig, siebzig der abgerundeten länglichen Konkretionen aufgebrochen, und der Lohn all dieser Mühen bestand in ein paar pyritisierten Schnecken und einigen zungenbreiten Neuropteris- und Asterothecablättern, und dann natürlich ein ganzer Haufen Bruch, der zu ihren Füßen verstreut herumlag. Gelangweilt und entmutig blickte sie auf die Uhr und überlegte, ob sie die Studenten nicht einfach eine Viertelstunde früher zurückrufen sollte. Da entdeckte sie ein Mineralknöllchen, ungefähr von der Größe eines Softballs, das fest in der Minenwand eingeschlossen war. Sie meißelte es frei, und der Stein spaltete sich sauber beim ersten Schlag in der Mitte durch, brach ganz einfach entlang des Abdrucks der toten Kreatur darin auf. Erstaunt musterte Chance das ungewöhnliche fächerartige Fossil, das sie freigelegt hatte.
    Man konnte es nicht mehr als Fischflosse bezeichnen, aber auch noch nicht als Fuß, acht kleine «Finger», die von Handwurzel- und Mittelhandknochen geformt wurden, das Ganze sah aus wie eine Sanduhr. Jeder der versteinerten Knochen war perfekt über ein Gelenk mit dem anderen verbunden. In der Mitte des Steins fand sich ein weniger gut erkennbares Handgelenk, dann der obere Teil der «Finger», Radius und Ulna und der kurze, fast quadratische Humerus. Endlich begriff Chance, dass sie die Vordergliedmaßen eines Tiers in der Hand hielt, das noch nie in diesem Teil des Landes gefunden worden war, von diesem Staat ganz zu schweigen, es war eine neue Art aus dem großen grauen Bereich zwischen Fisch und Amphibie. Eine halbe Stunde später saß Chance immer noch auf dem Boden und starrte stumm auf das Fossil, als einer ihrer Studenten endlich herüberkam und fragte, ob sie jetzt nicht besser fahren sollten.
    Danach wurden bei Sammlungen in der Mine und in einem nahe gelegenen Eisenbahnaufschnitt sieben weitere Exemplare entdeckt, vor allem Teile der Gliedmaßen und ein paar Wirbel, aber Chance fand noch einen zahnbesetzten Unterkiefer und ein paar kleine Teile des breiten froschartigen Schädels in einer anderen Konkretion. Im Oktober desselben Jahres nahm sie an einer Konferenz der Gesellschaft für die Paläontologie der Wirbeltiere im Field Museum in Chicago teil, wo sie einen Vortrag zu den vorläufigen Erkenntnissen über die Carbon-Hill-Tetrapoden hielt, und im folgenden Sommer erschien eine offizielle Beschreibung der Fossilien im Journal of Paleontology: «Eine neue Temnospondyli-Amphibie aus Alabama». Darin taufte Chance die Kreatur auf den Namen Walkerperton carbonhillensis.
    Ihr Großvater wollte eigentlich immer, dass Chance ihre Doktorarbeit nicht in Birmingham schrieb, sondern irgendwo, wo es einen Forschungsschwerpunkt für Wirbeltierpaläontologie gab oder wenigstens eine Geologiefakultät mit genügend Geld für die Forschung und einem Interesse an der Wissenschaft, das über das absolut Notwendige und den wirtschaftlichen Vorteil hinausging. Er schaffte es tatsächlich, sie dazu zu bringen, sich bei einigen Universitäten im Südosten zu bewerben: North Carolina State, die University of Florida, Duke und Louisiana State. Allesamt hätten Chance mit Kusshand genommen, doch die wollte ihren Großvater nicht alleinlassen. Er hatte bereits einen Herzanfall gehabt und war nun einmal ihre einzige Familie auf der Welt, also blieb sie an der University of Alabama in Birmingham und wurde dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die meisten ihrer Kollegen mit demselben Job waren praktischer veranlagte Mikropaläontologen, denen gutbezahlte Stellen bei Öl- und privaten Beraterfirmen winkten.
    Chance war zufrieden mit ihrer Entscheidung oder hatte sich doch zumindest damit abgefunden und zog so weiter geduldig durch die Minen und Steinbrüche und entdeckte dabei immer weitere fossile Reste des Walkerperton, und als ihr Dissertationsthema angenommen worden war, hatte sie

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