Fossil
Hoheit über Sadies Miene und einigen sich endlich auf einen ungeliebten Kompromiss, etwas, das weder das eine noch das andere ist. Sie knallt das Glas auf den Tisch, und die Eiswürfel und fast der ganze Bourbon schwappen auf die Sonnenblumenwachsdecke. «Gott, dich interessiert überhaupt nicht, was mit ihr ist, oder?» Sadie schreit beinahe. «Ich weiß sowieso nicht, warum wir überhaupt wieder hierhergekommen sind.»
«Sie hat recht, Sadie», sagt Deacon, reibt sich die Augen und starrt auf sein leeres Glas. «Ich meine, du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass die Cops sich auch nur einen Scheiß darum scheren, ob uns ein obdachloses Mädchen abhanden gekommen ist? In ihren Augen ist sie nämlich nichts anderes, irgendeine verdammte Berberin, über die sie lieber gar nichts hören wollen.»
«Sie ist noch ein Kind», zischt Sadie, und Deacon greift seufzend nach der Jim-Beam-Flasche, aber Sadie schnappt sie sich zuerst, steht auf und geht damit weg vom Tisch.
«Was soll der Scheiß jetzt?»
«Ich habe nicht vor, hier herumzusitzen und dabei zuzusehen, wie du dich außer Gefecht säufst, Deke, und wie die da tut, als wäre gar nichts passiert.»
«Und was hast du stattdessen vor, Sadie?», fragt Chance. Das klingt schon gar nicht mehr danach, als würde sie Sadie oder irgendjemand anderen gern tröstend in die Arme schließen, und offenbar will sie auch nicht mehr um jeden Preis einen Streit vermeiden. «Wieso hörst du nicht kurz auf, uns anzuschreien, und erklärst uns lieber, was du vorhast?»
Aber Sadie schüttelt nur den Kopf und schaut traurig auf den Seesack, der an ihrer rechten Hand baumelt, dann stellt sie die Flasche zurück auf den Tisch. Aus einem der Schnitte im Stoff schaut ein orange-grün gestreiftes T-Shirt heraus. «Sie ist doch noch ein Kind», wiederholt sie.
«Ja», flüstert Deacon und wünscht, er wüsste, womit er sie trösten kann, und dann sieht er, wie Blut aus Sadies weißer Socke tropft, ein karmesinroter kleiner Teich bildet sich auf Chance’ Küchenfußboden.
«Himmel, Süße, du blutest wieder.» Sadie schaut auf den Fleck und fängt an zu weinen, entschuldigt sich bei Chance und setzt sich wieder hin, drückt den Seesack an die Brust und das Gesicht in den aufgeschlitzten Stoff.
«Keine Sorge, Sadie, alles okay. Warte, ich habe ein Desinfektionsmittel und Mull im Medizinschränkchen, bin gleich wieder da.» Chance steht auf und nimmt das Notizbuch mit.
«Danke», schluchzt Sadie, während Deacon den Deckel vom Jim Beam dreht und sich noch ein Glas einschenkt.
Der Kopfschmerz hat sich auf einen fast erträglichen Stich irgendwo zwischen seinen Ohren reduziert, und der Whiskey schmeckt süß und scharf und deckt alles zu, besser, als die Nacht dort draußen es vermag. «Die Pfade, wo der Bergbach in der Dunkelheit unter dem Hügel verschwindet, eine unterirdische Flut», murmelt er vor sich hin. Sadie schaut vom Seesack auf und blinzelt Deacon aus ihrer verschmierten Mascaramaske heraus an.
«Was? Was hast du gesagt?», fragt sie.
«Nichts», antwortet er. «Bestimmt bedeutet es nichts.»
Nachdem Chance damit fertig ist, Sadies Fuß zu verarzten, den Schnitt sorgfältig ausgewaschen und frisch verbunden hat, der weiße Mull reicht bis zum Knöchel, und nachdem Sadie schweigend nach draußen auf die Veranda zurückgehumpelt ist, sitzen Deacon und Chance auf den entgegengesetzten Enden des Sofas. Die Eingangstür steht offen. Deacon kann hören, wie Sadie mit der alten, quietschenden Schaukel schaukelt, vor und zurück, eine Wehklage der rostigen Ketten und verwitterten Bretter, und ab und zu Sadies heiler Fuß, mit dem sie sich abstößt. Sie bleibt in Bewegung, ohne jemals irgendwo anzukommen.
«Das muss genäht werden», sagt Chance, und Deacon nickt einmal.
«Versuch du, ihr das zu sagen», erwidert er. «Versuch, ihr überhaupt irgendwas zu sagen.»
Dann ein oder zwei Minuten Schweigen, nur das quietschende und stöhnende Schwingen der Pendelschaukel und das stumme Haus und die murmelnde Nacht davor. Geräusche, die keine Geräusche sind oder nur etwas, das Deacon sich einbildet, weil es zu still ist. Er seufzt und beugt sich vor, sein Schatten fällt auf den Couchtisch und den Fußboden, dann stützt er die Unterarme auf seine Beine.
«Was ist los, Deke?» Ein schnelles, angespanntes Flüstern, als hätte sie Angst, oder vielleicht will sie auch nur nicht, dass Sadie es hört. «Ich kenne dich immer noch gut genug, um zu merken, wenn du mehr weißt,
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