Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
Vom Netzwerk:
als du zugibst. An den Blick erinnere ich mich.»
    Deacon nimmt sein Glas vom Tisch und trinkt es aus, dann macht er es wieder randvoll. Er ist jetzt betrunken genug, dass der Kopfschmerz kaum noch der Rede wert ist, betrunken genug, dass er Chance anlächelt, statt wütend zu werden.
    «Und welcher Blick soll das genau sein?», fragt er leicht ironisch, lallt dabei ein ganz klein wenig und schlürft am Glas. Sie reibt ihre Handflächen zusammen, als ob ihr kalt wäre oder sie pinkeln müsste. Das Notizbuch ihrer Großmutter liegt auf ihrem Schoß, und er ist ziemlich sicher, dass sie Angst hat, es aus den Augen zu lassen.
    «Bitte, hör auf, mir etwas vorzumachen.» Sie sieht ihn an und spricht ein wenig lauter, gerade so viel, dass er sie auf jeden Fall versteht und sie es nicht noch einmal wiederholen muss. «Ich tappe total im Dunkeln, okay? Und ich hatte noch nie im Leben solche Angst.»
    «Wunderbar, dann willkommen im Club.» Er lächelt wieder und hebt das Glas zu einem spöttischen Toast und nimmt einen großen Schluck.
    «Bitte, Deacon, ich meine es ernst.»
    «Tut mir leid, das war wohl ein wenig zu ironisch, ja?»
    «Aber ich habe doch recht, oder? Du hast etwas am Wasserwerkstunnel gesehen, was du Sadie verheimlichst. Du weißt, was mit Dancy passiert ist.»
    Deacon beugt sich leicht vor und stellt das Glas zurück auf den Couchtisch, starrt auf den sich bildenden Wasserring auf dem dunklen Holz, sich überschneidende Ringe, die blasse Narben auf dem Wachs hinterlassen.
    «Ist es nicht etwas spät, um jetzt auf einmal doch noch an solchen Scheiß zu glauben, Chance? Ich meine, du bist jetzt so weit gekommen ohne den Osterhasen und Jesus oder den beschissenen Weihnachtsmann. Bist du wirklich sicher, dass du es nun doch noch vermasseln und ein Opfer des Irrationalen werden willst? Nach all diesen Jahren treuen Unglaubens? Teufel, was würde Joe dazu sagen?»
    Deacon glaubt, dass er ihren Blick spüren kann, einen Wenn-Blicke-töten-könnten-Blick. «Wenn du nächstes Mal nachts wach liegst», sagt sie, «und darüber nachdenkst, weshalb ich dich verlassen habe, warum ich es einfach nicht mehr mit dir aushalten konnte, dann denk einfach daran, was du gerade eben gesagt hast, Deacon.»
    «Touché.» Er schaut sie an und wischt sich mit dem Handrücken über die nassen Lippen. Doch Chance sieht ihn gar nicht, sie hat den glasigen Blick eines Junkies, den Blick eines ausgestopften Hirsches, die Augen auf nichts und niemanden von dieser Welt gerichtet. Sie wirkt so verloren, so allein und auf sich gestellt, dass er eine Gänsehaut bekommt, und er greift nach dem Whiskey.
    «Du bist ein Scheißkerl», sagt sie, streicht mit den Fingern über das Notizbuch und sieht jetzt durch das hindurch statt durch ihn.
    «Schon klar», sagt Deacon. Er nimmt einen großen Schluck beruhigenden Jim Beam und reibt sich das Gesicht, versucht, die vertraute Reue fortzuwischen, weil er kein Wort zurücknehmen kann, das schon Geschichte ist, das sein Ziel gefunden und sein Werk der Zerstörung vollendet hat.
    «Was hast du beim Tunnel gesehen, Deke?», fragt sie noch einmal. «Was ist mit ihr passiert?»
    «Ich weiß nicht, was mit ihr ist, okay? Ich weiß nicht, was für eine Erleuchtung oder Offenbarung du hattest, Chance, aber wenn ich dir erzähle, was ich da draußen wirklich gesehen habe, wirst du mir verdammt nochmal nicht glauben. Im Augenblick glaube ich mir nicht mal selbst wirklich.»
    «Es hat was mit Elise zu tun», sagt Chance und kaut heftig an ihrer Unterlippe. Deacon erwartet schon fast, dass gleich Blut kommt. «Es hat was damit zu tun, warum Elise gestorben ist, und mit der Nacht, in der wir in den Tunnel eingebrochen sind. Und damit, weshalb meine Großmutter sich umgebracht hat.»
    «Möglicherweise», sagt Deacon ruhig und studiert die bourbonbefleckten Eisklumpen in seinem Glas, weil er Chance’ schrecklichen Nirgendwoblick nicht mehr ertragen kann. «Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht.»
    «Das wäre…» Sie verstummt und sucht nach dem richtigen Wort. Deacon mustert weiter sein Glas. «Das wäre äußerst raffiniert. Geradezu sublim. »
    «Oder schizophren», brummt er und dreht sich etwas, um nachzuschenken.
    «Wenn all diese grässlichen Sachen irgendwie zusammenhängen würden…»
    «Ja, das wäre schon sehr bequem.»
    Draußen auf der Veranda hat Sadie kurz mit dem Schaukeln aufgehört, und für einen Moment ist nichts als das plätschernde Geräusch vom Whiskey und das Klimpern der

Weitere Kostenlose Bücher