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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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Eiswürfel im Glas zu hören.
    «Ich meine es ernst», sagt sie und fängt wieder an, über den Deckel des Notizbuchs zu reiben.
    «Ich mache mich nicht über dich lustig, Chance. Ich will nur nicht, dass du mir plötzlich paranoid wirst und anfängst, Zusammenhänge zu erkennen, wo keine sind. Fang nicht an, Scheiß zu glauben, nur weil du an irgendetwas glauben musst. Weil du es jetzt brauchst. Das ist nicht der Moment dafür.»
    «Denkst du, ich dreh gerade durch?» Sie sieht vom Buch in ihrem Schoß auf, sieht Deacon diesmal direkt an, statt durch ihn hindurch oder an ihm vorbei, und ihr Blick wirkt wenigstens nicht mehr so leer. Sie will, dass ich ja sage, denkt er. Es wäre das Gnädigste, was ich ihr sagen könnte, das Tröstlichste.
    «Du weißt, dass ich das nicht meinte, Chance.»
    «Glaubst du denn, das war wirklich ein Hund heute im Labor?», fragt sie. «Und was Sadie heute Nacht gesehen hat, war das auch ein Hund?»
    Deacon leckt sich die Lippen, sein Mund ist plötzlich staubtrocken wie ausgeblichene Knochen, aber er stellt das frischgefüllte Glas unangerührt zurück auf den Couchtisch. «Nein», sagt er, «nein, das glaube ich nicht.» Und sie nickt, streckt sich etwas und nimmt seine Hand. Es ist so lange her, seit er ihre Berührung gespürt hat, ist so lange her, dass er sich nicht einmal mehr daran erinnern kann. Sie drückt seine Hand so fest, dass es wehtut.
    «Ich möchte, dass du mit Sadie heute Nacht hier bei mir bleibst», sagt Chance. «Ich fahre euch morgen zu eurer Wohnung, falls ihr irgendetwas von dort braucht, aber ansonsten sollten wir besser zusammenbleiben.»
    «Okay, klar», sagt Deacon und fühlt sich betrunken und dumm. Chance seufzt einen langen stockenden Seufzer der Erleichterung. Sie lässt seine Hand fahren und beschäftigt sich wieder mit dem Notizbuch. Das ist fast so schlimm oder sogar schlimmer als alles, was er am Tunnel erlebt hat, die plötzliche Abwesenheit ihrer Berührung, nach diesem kurzen unerwarteten Kontakt. Fast so furchtbar wie vogelscheuchenartige Kreaturen, die keine Hunde sind, und wie der Kummer und die Entschlossenheit in Dancy Flammarions Augen.

KAPITEL 10
    LEBEN VOR DEM MENSCHEN
     
     
     
    Es ist später Sonntagmorgen. Chance hat Deacon und Sadie Frühstück gemacht, bevor sie weggefahren ist – Speck und noch etwas flüssiges Rührei, dampfender schwarzer Kaffee, Toast und Apfelmarmelade – und niemand sprach auch nur ein Wort beim Essen. Kein Wort über Dancy oder den Tunnel, angsteinflößende Phantomhunde oder darüber, was sie als Nächstes tun sollten. Als sie fertig waren, fuhr Chance allein zur Uni, zu ihrem unvermeidlichen Gespräch mit Alice. Die Kiste mitsamt ihrem Inhalt ist noch immer verschwunden – der Hämatitbrocken, die Trilobiten, das hässliche konservierte Ding und die alte Glasflasche mit dem Alkohol, die es mehr als ein Jahrhundert lang beherbergt hat, alles das, was Chance noch gar nicht ausgepackt hatte: alles weg.
    Chance sitzt auf einem unbequemen Stuhl aus Hartplastik in Alice Sprinkles Büro, ein Stapelstuhl, der dieselbe Farbe hat wie gelbe Play-Doh-Knete und mitten in dem überfüllten und unaufgeräumten Büro von der Größe eines Wandschranks steht. Chance versucht still zu sitzen, reibt sich die Augen und tut, als würde sie gerade nicht an ein Dutzend anderer Dinge denken, die ihr wichtiger vorkommen als die Unterhaltung mit Alice.
    «Ich schwöre dir, Mädchen, wenn du es nicht wärst, um die es hier geht, würde ich dir jetzt die Schlüssel abnehmen.» Alice schaut durch dicke Brillengläser von der gegenüberliegenden, sicheren Seite des mit Blättern übersäten Schreibtischs finster zu Chance hinüber. Die weiß, dass das stimmt. Alice ist wie ein Glucke, was das schäbige kleine Gebäude und seine Schätze angeht. Wäre also tatsächlich jemand anders einfach daraus abgehauen und hätte beide Türen offen stehen lassen, wäre ihm weitaus Schlimmeres passiert, als dass Alice lediglich seine Schlüssel zurückforderte. Ein Teil von Chance versucht, dankbar zu sein, ein anderer vermutet immer noch, dass sie sich dafür schämen sollte, dass sie sich von ein paar Schatten so in Panik hat versetzen lassen wie ein kleines Kind, wie ein albernes Mädchen, mit dem die Phantasie durchgeht und das nicht mehr klar denken kann. Doch nach den letzten beiden Tagen ist sie sich in beiden Punkten nicht mehr so sicher.
    «Tut mir leid», sagt sie noch einmal, ob es ihr damit nun ernst ist oder nicht. Sie kann schon

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