Fotostudio Plange I (German Edition)
Marvin die beste Lösung für alle eventuellen Probleme, die in
den nächsten Jahren auf uns zukommen könnten, denn der Kleine war ja nicht mein
leiblicher Neffe. Der entsprechende Antrag war reine Formsache, wir mussten
noch nicht einmal vor Gericht erscheinen.
Den letzten Abend verbrachten wir, diesmal mit den
Zwillingen, wieder mal bei Costas. Schön war der Abend nicht, der nahende
Abschied schwebte, wie ein Damoklesschwert, über jedem Witz, der gerissen
wurde. Als Marvin seinen Kalender überreichte, öffneten sich bei Claudia die
emotionalen Schleusen, sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Klaus ließ sich zwar
nichts anmerken, aber ich reichte ihm vorsichtshalber ein Taschentuch, das er auch
dankend annahm.
Wie der Zufall es wollte, kurze Zeit später besuchten
mein Bruder und ich gemeinsam die Wasserspielanstalten des griechischen Lokals.
So mitgenommen hatte ich ihn, außer beim Tod von unserer Mutter, noch nicht
gesehen. „Brüderchen! Was ist los?“
„Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, was wir tun!“
„Was denn? Auswandern?“
„Nein, das meine ich nicht. Ich frage mich eher, ob es
richtig ist, Marvin hier alleine zu lassen. Versteh mich jetzt nicht falsch,
nichts gegen dich, du bist mein Bruder! Aber nach seiner Offenbarung haben wir endlich
einen Draht zueinander entwickelt, die wie die ganzen Jahre über nie hatten! Er
war wie verändert! Vollkommen gewandelt! Ein ganz anderer Marvin als der, den
ich kannte!“
„Stimmt! Er hat sein größtes Geheimnis mit euch geteilt.
Ihm sind mehrere Gebirge vom Herzen gefallen, das kannst du mir glauben. Er
lebt jetzt befreiter und ausgeglichener als vor zwei Monaten. Aber meinst du,
er hätte das Gleiche zur gleichen Zeit getan, wenn ihr nicht in dieser
besonderen Situation gewesen wäret? Ihr steht selbst vor einem einschneidenden
Ereignis!“
„Ja, aber … Warte mal! Wenn ich dich jetzt richtig
verstehe, sagst du mir gerade durch die Blume, er wollte sich eigentlich nicht
outen, jedenfalls jetzt noch nicht. Er hat es nur gemacht, weil wir nach
Australien gehen?“
„Genau! Er wollte euch erst einen Brief schreiben, aber
ich war anderer Ansicht.“
„Wie? Du warst doch genauso überrascht über seine
Ehrlichkeit wie Claudia und ich, als wir hier gegessen haben, wenn ich mich
recht erinnere!“
„Klaus, ich bin schon immer der Künstler in der Familie
gewesen! Die Reaktion war nur gut geschauspielert! Wer hat wohl den Tisch hier
bestellt?“
„Aber dann wusstest du es vor uns!“
„Stimmt! Es war in der Zeit des Probewohnens, da hat er
mir reinen Wein eingeschenkt!“ Die genauen Umstände ließ ich einmal außen vor.
„Ich habe ihn mehr oder minder auf das Acht-Augen-Gespräch gebracht. Von sich
aus wäre er noch nicht bereit gewesen. Etwas sanfter Druck und ein bisschen
Überredungskunst, das war alles!“
Er blickte mich an und legte mir seine Hand auf die
Schulter. „Ich dank dir trotzdem! Aber …“
„Aber was?“
„Kümmer dich um ihn! Lass nicht zu, dass ihm ein Haar
gekrümmt wird! Sein Weg wird noch schwer genug werden. Wenn ihm was passiert,
dann gnade dir Gott!“
„Ich werde ihn hüten wie meinen eigenen Augapfel,
Brüderchen. Da mach dir mal keine Sorgen.“
Wenn jetzt jemand hereingekommen wäre, er hätte zwei
erwachsene Männer sich innig umarmend und weinend gesehen. Nach einiger Zeit
meinte er: „Wir sollten langsam mal wieder zu den anderen!
Der Tag X war gekommen. Obwohl der Flug einer der letzten
des Tages war, machten wir uns mit dem Minivan schon um kurz nach sechs auf den
Weg nach Frankfurt, es lagen ja fast 250 Kilometer bundesdeutscher Autobahn vor
uns. Wir benötigten im abendlichen Berufsverkehr inklusive zweier Staus knappe
drei Stunden.
Der Abschied am Frankfurter Flughafen war ganz großes
Kino: Küsse, Umarmungen, Briefe und kleine Geschenke wurden wechselseitig
ausgetauscht, Klaus und ich versuchten zwar mit trockenen Augen die Sache zu
überstehen, aber so richtig gelingen wollte uns das dann aber doch nicht. Aber
irgendwann verschwanden die Vier durch die Sicherheitsschleuse. Marvin und ich
blieben, Arm in Arm, vor der Barriere stehen. Als sie nicht mehr zu sehen
waren, meinte er, wir sollten fahren.
„Willst du nicht sehen, wie der Flieger abhebt?“
„Nein! Erstens ist es dunkel, man würde sowieso nicht
viel erkennen, zweitens hab ich jetzt Hunger und drittens müssen wir irgendwann
noch nach
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