Fotostudio Plange I (German Edition)
Männlein oder Weiblein! Der Schmerz ist der
gleiche!“
„Stimmt auch wieder! Na dann wünsch ich dir viel Spaß bei
der Seelenmassage. Ach, und übrigens Danke! Deine Überraschung ist dir wirklich
gelungen!“
Ich grinste. „Das Schwerste war die Geheimhaltung.“
„Kann ich mir vorstellen, aber darin sind wir ja Meister!
In Sachen Geheimnissen!“ Sein Lachen war verschwunden.
„Junger Mann! Jetzt nur nicht sentimental werden! Du hast
in letzter Zeit schon genug Scheiße erlebt, jetzt gilt es: Kopf hoch, Augen zu
und durch! Es kann nur besser werden! Du hast Geburtstag, also freu dich und
feier ihn mit deinen Freunden. Und jetzt ab!“
Er gab mir noch einen Kuss auf die Wange und verschwand
im Getümmel. Ich ging nach draußen, wo Igor schon auf mich wartete. „Da bist ja
endlich! Ich dachte schon, ich müsste hier einen Stehimbiss aufmachen.“
„Sorry, aber irgendjemand hatte den Senf versteckt.
Können wir?“
Er nickte und wir machten uns auf den Weg in die Wohnung.
Während er sich im Wohnzimmer schon breitmachte, ging ich in die Küche, um mit
Besteck und Getränken für uns wieder zu kommen. Während er aß, beobachtete ich
ihn vom Sessel aus. Sein Körper war wohl definiert, die Gesichtszüge ziemlich
fein, die dunkelblonden Haare ziemlich kurz geschnitten. Im Gegensatz zu den
anderen Malen, wo ich ihn gesehen hatte, trug er heute Brille. Er sah damit
noch niedlicher aus, so richtig zum Knuddeln!
Als er fertig war, wischte sich mit dem Handrücken über
den Mund. Die Brotkrumen hatte er dadurch zwar alle entsorgt, aber ein kleiner
Senffleck zierte seinen linken Mundwinkeln. „Du hast da noch etwas Senf!“
„Wo?“
Spiegelbildlich tippte ich an meinem Mundwinkel, er
wischte prompt über die falsche Seite. Ich grinste ihn an. „Immer noch!“
„Dann leckte es ab!“
„Wenn dich meine Knoblauchfahne nicht stört?“
„Das Einzige, was mich stört, ist, dass du so weit weg
sitzt. Komm jetzt endlich hier neben mich. Ich brauch gleich eine Schulter zum
Anlehnen!“ Ich tat, wie mir geheißen, und die ging auf ihn zu. Meine Zunge
spielte in seinem Mundwinkel, der sich bereitwillig vergrößerte. Sein
Waschlappen sagte meinem Hallo und unsere Lippen vereinigten sich, den herben
Druck im Kusse zu versüßen.
„Tja, wo soll ich anfangen?“
„Am besten ist es, am Anfang zu beginnen. Aber bitte
nicht bei Adam und Eva! Du solltest dann doch ein paar Jahrhunderte
überspringen!“
Er lachte und begann mit seiner Lebensgeschichte. Seine
Vorfahren waren Wolgadeutsche, die während des Zweiten Weltkrieges – gemäß
Stalins Erlass – in die Steppen Kasachstans umgesiedelt worden waren.
Irgendwann hätten seine Eltern einen Ausreiseantrag gestellt und die gesamte
Familie, Mama, Papa und drei ältere Brüder, wären dann nach einer ziemlich
lange Reise hier im hiesigen Aussiedlerwohnheim gelandet. Es folgten die
üblichen Schritte der versuchten Integration in das Leben hier. Sein ältester
Bruder Wadim, der sich noch kurz vor der Übersiedlung mit einer Russin verlobt
hatte, war nach einem Jahr Deutschland wieder zu seiner Liebsten zurückgekehrt.
Der zweite Bruder Anatol würde hier wegen verschiedener Delikte hinter
schwedischen Gardinen sitzen und erst in fünf Jahren wieder normale Luft atmen
können.
Nur Alexander und er hätten – nach etlichen
Schwierigkeiten – die Kurve gekriegt. Alex, zwei Jahre älter als er, würde hier
in der Stadt einen russischen Supermarkt betreiben und hätte mittlerweile sechs
Angestellte. Außerdem würde er im Kirchenchor singen und mit unserem
Oberbürgermeister per du sein.
Nach dem Realschulabschluss hatte er seine Lehre zum
Fitness-Kaufmann mit Erfolg absolviert und zwei Jahre im größten Studio der
Stadt gearbeitet. Dann ging es für vier Jahre zur Bundeswehr und nach der
Anerkennung als Unteroffiziersanwärter hatte er sich entschlossen, auf der
Abendschule sein Abitur nachzuholen. Zwei Tage nach seiner Entlassung bekam er
auch das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife. Kurz nach seinem 26.
Geburtstag hat er sich dann als Lehramtsstudent für Sport, Mathematik und
Russisch für die Sekundarstufe II an der Uni Münster eingeschrieben. Das Examen
würde kurz bevorstehen.
Ich war mehr als erstaunt, hatte ich ihn doch, nur vom
Äußeren her, auf knapp Mitte 20 geschätzt. „Bin ich dir zu alt? Bist du jetzt
enttäuscht?“
„Wieso sollte ich? Du siehst nur erheblich jünger
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