Foundation 06: Die Grösse des Imperiums
das ihn fütterte.
Blitzartig kam ihm die Erkenntnis. Man hatte ihn operiert! Von Panik erfaßt, schleuderte er die Laken von sich und setzte sich auf.
Ein Mädchen beugte sich über ihn, legte ihm die Hände auf die Schultern, drückte ihn in die Kissen zurück. Sie redete ihm gut zu, aber er verstand sie nicht. Vergeblich wehrte er sich gegen die schlanken Arme. Er hatte keine Kraft.
Er hob die Hände und betrachtete sie. Sie erschienen ihm normal. Als er seine Beine bewegte, hörte er sie gegen die Laken streifen. Auch sie hatte man ihm also wohl nicht amputiert.
Er wandte sich an das Mädchen und fragte ohne große Hoffnung: »Können Sie mich verstehen? Wissen Sie, wo ich bin?« Er hätte seine eigene Stimme beinahe nicht wiedererkannt.
Das Mädchen lächelte und überfiel ihn mit einem Schwall wohlklingender Laute. Schwartz stöhnte auf. Ein älterer Mann trat ein, derselbe, der ihm die Tabletten gegeben hatte. Der Mann und das Mädchen sprachen miteinander, nach einer Weile wandte sich das Mädchen wieder Schwartz zu, zeigte auf seine Lippen und ermunterte ihn mit kleinen Gesten.
»Was?« fragte er.
Sie nickte eifrig, und ihr hübsches Gesicht strahlte so freudig auf, daß es Schwartz unwillkürlich warm ums Herz wurde.
»Sie wollen, daß ich spreche?« fragte er.
Der Mann setzte sich zu ihm ans Bett und bedeutete ihm, den Mund zu öffnen. Dann sagte er: »Aaah«, und als Schwartz ebenfalls »Aaah« sagte, massierte der Mann mit den Fingern seinen Adamsapfel.
»Was soll das?« nörgelte Schwartz, als der Druck auf seinem Kehlkopf nachließ. »Wundern Sie sich vielleicht, daß ich sprechen kann? Wofür halten Sie mich eigentlich?«
Mit jedem Tag, der verging, lernte Schwartz etwas Neues. Der Mann hieß Dr. Shekt – er war der erste Mensch, den er mit Namen kannte, seit er über die Stoffpuppe gestiegen war. Das Mädchen hieß Pola und war seine Tochter. Schwartz stellte fest, daß er sich nicht mehr zu rasieren brauchte. In seinem Gesicht wuchsen keine Haare mehr. Das machte ihm Angst. War ihm jemals ein Bart gewachsen?
Er kam rasch wieder zu Kräften. Bald durfte er aufstehen und sich anziehen und bekam nicht mehr nur Brei zu essen.
Litt er vielleicht unter Amnesie? War er deshalb in Behandlung? War diese Welt vollkommen normal, die Welt, an die er sich zu erinnern glaubte, dagegen nur die Ausgeburt eines gestörten Gehirns?
Er durfte das Zimmer nicht verlassen, man ließ ihn nicht einmal auf den Korridor hinaus. War er etwa ein Gefangener? Hatte er ein Verbrechen begangen?
Nirgendwo kann ein Mensch sich so rettungslos verirren wie im endlosen Labyrinth seines eigenen, einsamen Gehirns. Niemand kann ihn dort erreichen, niemand ihm helfen. Und kein Mensch ist so hilflos wie einer, der sich nicht erinnern kann.
Pola machte es Freude, ihm die ersten Worte beizubringen. Er nahm sie mühelos auf und vergaß sie auch nicht mehr, aber das erstaunte ihn nicht weiter. Er erinnerte sich, schon immer ein überragendes Gedächtnis besessen zu haben, und zumindest diese Erinnerung schien korrekt zu sein. Innerhalb von zwei Tagen verstand er einfache Sätze, nach drei Tagen konnte er sich seinerseits verständlich machen.
Am dritten Tag stand ihm dennoch eine Überraschung bevor. Shekt paukte Zahlen mit ihm und stellte ihm Rechenaufgaben. Bei jeder Antwort schaute der Doktor auf seine Stoppuhr und machte sich rasch mit einem Stift Notizen. Doch dann erklärte er Schwartz den Begriff ›Logarithmus‹ und fragte ihn nach dem Logarithmus von Zwei.
Schwartz wählte seine Worte mit Bedacht. Da sein Wortschatz noch sehr begrenzt war, behalf er sich mit Gesten. »Ich – nicht – sagen. Antwort – nicht – Zahl.«
Shekt nickte aufgeregt und sagte: »Nicht Zahl. Nicht dies, nicht jenes; teils dies, teils jenes.«
Schwartz verstand durchaus, daß dies eine Bestätigung seiner Aussage war. Die Lösung war keine ganze Zahl, sondern ein Bruch, und deshalb sagte er: »Null Komma drei null eins null drei – und – noch mehr – Zahlen.«
»Genug!«
Schwartz war baß erstaunt. Wie war er nur darauf gekommen? Er war ganz sicher, nie zuvor von Logarithmen gehört zu haben, doch sobald die Frage gestellt wurde, hatte er die Antwort im Kopf gehabt. Er hatte keine Ahnung, nach welchem Verfahren er gerechnet hatte. Es war, als habe sein Bewußtsein sich selbständig gemacht und benütze ihn nur noch als Sprachrohr.
Oder war er früher, vor dem Gedächtnisverlust, Mathematiker gewesen?
Die Untätigkeit
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