Foundation 08: Foundation
darstellt.
Rashevsky hat ein mathematisches Modell für die
›Kinematik des sozialen Verhaltens‹ entwickelt, das auf der
Stimulus-Reaktions-Theorie der Psychologen basiert (was ihn zum
echten Psycho-Historiker macht). Das Modell sagt Zahl, Ort und
Stabilität der Gleichgewichts-Niveaus voraus, also jenen Teil
der Population, der zuletzt ›das Verhalten zeigen
wird‹.
Wenn wir ein neues Verhalten sehen (hören oder davon lesen),
ist das für uns ein Anreiz, es zu imitieren. Die Stärke des
Anreizes hängt von drei Faktoren ab: X, der Zahl der Tuer
(›Mama, das tun doch alle!‹), A x , den
Überredungs-(oder Zwangs-)Ressourcen der Tuer (›Na, stellt
euch doch nicht so an, seid ihr etwa feige?‹) und A, der
angeborenen Imitationsbereitschaft der Population. (Für den
Augenblick verzichten wir auf den Versuch, die beiden letztgenannten
Faktoren zu messen.)
Stellen Sie sich ein Verhalten B vor, das von X o , einer
Gruppe von ›Parteigängern‹ vertreten wird. Eine andere
Gruppe, Y o , vertritt Nicht-B. Der Rest entscheidet sich je
nach Gusto für B oder Nicht-B. Nach Rashevskys Modell wird das
Gleichgewichts-Niveau durch das
›Zwang/Imitations‹-Verhältnis (A x X o – A y Y o )/A bestimmt. Wenn
dieses Verhältnis einen kritischen Wert C* übersteigt, wird
schließlich die Mehrheit der Gesellschaft B übernehmen.
Wenn er unter -C* liegt, wird die Mehrheit Nicht-B übernehmen.
Wenn der Wert zwischen +/- C* fällt, sind sowohl B als auch
Nicht-B potentielle Gleichgewichte. Das heißt, die Gesellschaft
würde zu beiden Niveaus hingezogen sein, und identische Umstände könnten in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliches Verhalten hervorrufen!
Theoretisch könnte Rashevskys Modell, bei bekannter Zahl der
Parteigänger eines jeden Kandidaten sowie einer Maßzahl
für ihre Fähigkeit, an Wähler heranzukommen und sie zu
beeinflussen, den Ausgang von Wahlen vorhersagen. Vorausgesetzt
natürlich, daß es sich um freie Wahlen handelt, die
jeweils nach Erreichen des Gleichgewichts abgehalten werden!
Unglücklicherweise ist letzteres nicht immer der Fall. Das
Gleichgewichts-Niveau selbst kann sich ändern, ehe das System
ihn erreicht! Das Gleichgewicht wird von den Systemparametern
bestimmt, und die Parameter selbst sind Variable.
Stellen Sie sich eine Kugel aus einem Kugellager vor, die von
einem Magneten angezogen wird. Sehr einfache Gesetze reichen aus, um
ihre Bahn zu beschreiben und den Ort vorherzusagen, an dem die Kugel
zur Ruhe kommt. Was aber, wenn der Magnet selbst sich bewegt? Die
Kugelbahn ist jetzt nicht mehr einfach. So ist es bei der kulturellen
Dynamik.
Stellen Sie sich die Dynamik in einem Sonnensystem vor, in dem die
Gravitationskonstante und die planetaren Massen sich
ändern. *
Üblicherweise führen kleine Parameteränderungen zu
kleinen Veränderungen im Gleichgewicht; üblicherweise, aber
nicht immer. Manchmal kann eine kleine Parameteränderung eine
starke plötzliche Veränderung im Verhalten verursachen.
Dehnt man beispielsweise ein Gummiband, so wird es zunehmend
länger – bis es eine Singularität durchläuft und
reißt, ein Verhalten das durch Extrapolation seines bisherigen
Wachstums absolut unvorhersehbar ist. Auch Gesellschaften können
reißen: Revolutionen, Putsche, Modeströmungen,
wirtschaftliche Booms oder Katastrophen, technologische
Durchbrüche. Plötzlicher Wandel unterbricht häufig den
Weg zum Gleichgewicht (Abb. 11).
Abbildung 11: Das Auftreten einer neuen Erfindung
(Automobile) verursachte eine plötzliche Veränderung im
Trend von Pferdefahrzeugen. Es wäre interessant, die
Gesamtproduktion von Fahrzeugen darzustellen – Pferdefuhrwerke
und pferdelose Fahrzeuge. Auf Pro-Kopf-Basis oder auf etwas wie
›Passagier-Meilen-pro-Dollar‹ normalisiert, sollte dabei
eine stetige S-Kurve herauskommen.
Vielleicht die dramatischsten derartigen Veränderungen waren
der Zusammenbruch gewisser Gesellschaften auf Staatsniveau, deren
komplexe Strukturen sich schnell in Feudalstaaten oder gar
Stämme vereinfachten. Der Zusammenbruch der Gesellschaften der
Mayas und derer der Ägäis waren die vollständigsten
Zusammenbrüche dieser Art, aber auch die ägyptische
Gesellschaft nach der VI. Dynastie oder die griechisch-römische
Gesellschaft in Westeuropa sind bekannte Beispiele. Könnte das
auch in den USA geschehen? Es gibt auch Beispiele für ein
gleichermaßen plötzliches Anwachsen der Komplexität:
beispielsweise die Bildung des sächsischen Königreiches
oder des
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