Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
paar Tagen daran gewöhnt hat und ich keine Augentropfen mehr brauche.
Das PRT Kunduz und seine Umgebung werden durch einen mit Kameras ausgerüsteten Heißluftballon überwacht, der immer am Himmel steht, außer bei sehr starkem Wind oder Sandstürmen. Die Soldaten nennen den Ballon die »Hindenburg« oder, augenzwinkernd, das »Auge Saurons«.
In der ehemaligen Küche – heute Fitness-Raum »House of Pain« – sind noch Einschläge von Raketen zu sehen. Erinnerungen aus einer Zeit vor der Panzerhaubitze, als das Feldlager fast täglich mit Raketen aus dem Tal beschossen wurde.
In der Nähe des Haupttores steht die Panzerhaubitze 2000 – ein schweres Artilleriegeschütz, das – laut Offizier vor Ort – vom Feldlager aus Ziele in einem Umkreis von 40 Kilometern auf 20 bis 30 Meter genau treffen kann. Die Panzerhaubitzen werden seit 2010 vom Feldlager Kunduz aus eingesetzt.
Kurz bevor der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg die Verlegung der Haubitzen nach Kunduz verkündete, wurden am Karfreitag 2010 drei deutsche Soldaten (Hauptfeldwebel Nils Bruns, 35 Jahre, Stabsgefreiter Robert Hartert, 25 Jahre, und Hauptgefreiter Martin Augustyniak, 28 Jahre) bei einem Hinterhalt der Taliban in der Ortschaft Isa Khel getötet. Aber auch als Antwort auf die Raketen- und Mörserangriffe auf das Feldlager Kunduz wurde die Panzerhaubitze stationiert. Angriffe dieser Art hatte es bei unserer Ankunft seit einem knappen Jahr nicht mehr gegeben.
Die Soldaten des Vorgänger-Kontingents, die noch auf ihren Abflug warten, sitzen mit nackten Oberkörpern vor ihren Zelten. Etwas spöttisch begutachten sie die Neuankömmlinge. »Tapsies« nennen Soldaten die Neuen, weil die noch so unbeholfen durchs Feldlager tapsen. Nach sechs Monaten in Afghanistan sind die Abreisenden braungebrannt und bei den wenigsten ist ein Gramm Fett auszumachen. Erschöpft sehen sie aus. Viele haben sich Vollbärte wachsen lassen. Lange hatten sie eine relativ ruhige Zeit. Bis zu ihrem letzten Monat. Am 28. Mai 2011 wurden bei einem Sicherheitstreffen in der Provinz Tachar zwei Bundeswehrsoldaten durch einen Sprengstoffanschlag getötet (Major Thomas Tholl, 43, und Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein, 31). Der Regionalkommandeur Nord der ISAF Generalmajor Markus Kneip sowie fünf deutsche Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt. Dann, am 2. Juni 2011, zerfetzte ein Sprengsatz einen Schützenpanzer Marder 1A5 der Bundeswehr in Baghlan. Der Oberstabsgefreite Alexej Kobelew, 23 Jahre jung, fiel, fünf Soldaten wurden zum Teil schwerstverwundet.
Ab 18 Uhr strahlt die Sonne in einem geradezu unwirklichen Gelb, die Temperaturen werden wieder erträglich. Der Abend und die Nacht sind hier die schönste Zeit. Ein riesiger Mond, ein Himmel, an dem gefühlte Milliarden Sterne stehen.
Einschießen bei 55 Grad
Frühmorgens und abends beobachte ich, wie die Fahrzeuge im PRT Kunduz am »Ehrenhain« – dem Sammelplatz – auffahren, um »raus« zu fahren. Der Ehrenhain hat zwei Funktionen: Zum einen ist er Sammelplatz für alle Einheiten, die »raus« fahren, zum anderen ist er Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan und in Kunduz im Besonderen. Er steht innerhalb eines quadratischen Schotterplatzes und besteht aus zwei rechtwinklig angeordneten Mauern. Davor steht ein Gedenkstein. Er ist mit dem Eisernen Kreuz der Bundeswehr versehen. An den Mauern sind die Gedenktafeln für die im Einsatz verstorbenen Soldaten befestigt. Auf den Gedenktafeln steht jeweils der Name, Vorname, Dienstgrad und Name der Einheit des Toten.
Hinter dem Ehrenhain stehen zehn Fahnenmasten – die sieben Flaggen der an der ISAF-Mission beteiligten Nationen, die Flagge der NATO, Afghanistans und die deutsche Flagge. Der deutsche Fahnenmast steht ganz im linken Eck des Ehrenhains.
In den Fahrzeugen: lauter junge Männer mit ernsten Gesichtern. Wenn sie in der ersten Dämmerung zurückkommen, sind ihre Gesichter so verstaubt, dass man nicht mehr erkennt, ob sie vielleicht doch gerade lächeln. Wir werden bald die nächsten sein, die am Ehrenhain auffahren.
Für die 3. Kompanie von Hauptmann Schellenberger und damit auch für den Foxtrott-Zug wird es in der nächsten Woche ernst – dann müssen sie in »Raumverantwortung«, so heißt das. Sie werden im Raum Chahar Darreh als Task Force eingesetzt. Das bedeutet: Außenposten besetzen, Patrouillen durch die Dörfer, Überwachen der Verbindungswege, Suche nach Sprengfallen und Suche nach dem
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