Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
unsichtbaren Feind, der sich womöglich irgendwo in den Bergen oder auch in den Dörfern versteckt.
Zuvor müssen aber noch die Waffen eingeschossen werden. Dafür fährt die Kompanie auf die Westplatte, ein Sandsteinplateau westlich des Feldlagers. Eine einstündige Fahrt durch das Kunduz-Tal.
6:30 Uhr – die Dingos, die Marder-Schützenpanzer und die Fuchs-Transportpanzer fahren auf dem Sammelplatz, dem Ehrenhain, auf. Die Waffen werden soweit durchgeladen, wie es die Sicherheitsbestimmungen zulassen. Dann die herzliche Ermahnung vom Zugführer, die Soldaten sollten nicht rausfahren »wie die Pimmelfrisöre«, sondern wachsam sein. Aus der TOC (Tactical Operations Center), der Einsatzzentrale, sagt er, gäbe es eine Warnung vor einem Selbstmordattentäter im Raum Kunduz. Die Schranke nach »draußen« öffnet sich.
Zum ersten Mal verlassen wir unsere Schutzburg, das Feldlager. Ich sitze in einem Transportpanzer Fuchs. Er hat Luken, aus denen man beobachten kann und auch filmen könnte. Doch zunächst sitze ich »unter Luke«. Sehe nichts außer dem Inneren des Panzers. Stahl und Waffen. Oben durch die Luke kann ich ein Stück Himmel sehen, wolkenlos wie beinahe immer, und die MP 7 des stellvertretenden Zugführers, der aus der Luke heraus die Umgebung überwacht. Man hört die rauschenden Meldungen über Funk. Die Soldaten um mich wirken ruhig, abwartend, fast abwesend.
Die Kolonne rollt von der Anhöhe, auf der das Feldlager steht, hinunter in das Kunduz-Tal. Die Straße ist sogar befestigt. Wir fahren durch den Distrikt Chahar Darreh, einen von sieben Distrikten in der Provinz Kunduz. Über eine Furt geht es durch den Kunduz-Fluss. Wie Science-Fiction-Gefährte wirken die Bundeswehr-Fahrzeuge im Vergleich zur Umgebung – den kargen Feldern, den erbärmlichen Hütten und Verschlägen der afghanischen Dörfer.
Westplatte, Sandsteinplateau westlich des Feldlagers
Die Bundeswehr-Kolonne fährt auf die Anhöhe. Eine Kamelkarawane wartet geduldig, bis die Militärfahrzeuge vorbeigezogen sind. Die Sonne steht jetzt überdimensional riesig über der Westplatte. Sie nimmt die Hälfte des Horizonts ein. Hier ist es noch mal heißer und staubiger als im Feldlager. Ein Apache-Kampfhubschrauber fliegt über uns hinweg.
Schröder steht vor seinem Dingo. Wild sitzt im Fahrzeug, sagt, den Blick in die weite Ebene gerichtet: »Also ehrlich, was mich bis jetzt hier am meisten beeindruckt, ist die Landschaft.« In seiner Brille spiegeln sich Sonne und Wüste. »Früh oder abends sieht man dann das Gebirge. Ist voll geil. Genauso wie der Sternenhimmel. Das sind so die Momente, wo ich mir sag, das siehst du in Deutschland auf jeden Fall nicht.«
Der Auftrag von Foxtrott 4 für diesen Tag: Einschießen der Waffen und das Fernhalten der Zivilbevölkerung. Funk: »Grundsätzlich ist dein Primärauftrag das Weghalten der Zivilbevölkerung.«
Von weitem sehe ich einen Mann mit einem Esel. Frage mich: Ob der wohl weit genug weg ist?
Sebastian Bachert, der einsatzerfahrene Hauptfeldwebel, steht vor den Soldaten des Zuges: »Wir werden hier heute Anschießen der Handwaffen durchführen.«
Schröder: »Man kann viel trainieren, ob das Magazinwechseln oder weiß ich was ist. Was ich nicht üben und trainieren kann, sind real Verwundete oder Sachen, die man in Afghanistan sieht und die man einfach nicht gewohnt ist.«
Hauptmann Dominic Schellenberger, Chef der 3. Kompanie Task Force Kunduz: »Üblicherweise ist das so, dass Zivilpersonen – insbesondere Kinder – hierher kommen, um die Hülsen zu sammeln. Das dürfen die auch, aber erst, wenn wir mit Schießen fertig sind. Wir haben dafür auch den Sprachmittler dabei. Der wird mit den Zivilisten sprechen.«
Dann dürfen die Soldaten loslegen; die Task Force Kunduz feuert ihre ersten scharfen Schüsse auf afghanischem Boden ab. Wenn auch nur zur Übung. G36, P8, MG4, G3 und Granatpistole. Es knallt, es raucht und explodiert für fünf Stunden in der Wüstenlandschaft.
Immer wieder nähern sich Kinder den Soldaten. Doch selbst Kinder lassen die Neuankömmlinge, die »Tapsies«, noch nervös werden.
Chill: »Im Grunde genommen … ist hier jeder verdächtig …«
Ein Soldat ruft Schröder zu: »Der in dem grünen Kaftan da, der grad wegläuft, der hat ein Telefon!«
Aber der Mann ist weit weg und scheint harmlos. Er ist nur zu seinen fünf oder sechs Ziegen gelaufen.
Ich frage Schröder, ob er auch Angst hat in solchen Momenten. Schröder: »Ja, hab ich. Wenn jemand keine
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