Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Angst hat, dann läuft irgendwas schief …«
Auf einem Schützenpanzer habe ich die Aufschrift »Brave Heart« gesehen.
Frage: »Ist Mut die Abwesenheit von Angst?« Darauf Schröder: »Angst ist ein Instinkt, der alles im Körper noch mal hochfahren lässt. Und die Sinne werden alle noch mal schärfer – ob das Hören, das Sehen, das Fühlen.« Mit Feigheit habe das nichts zu tun. Aber keine Angst zu haben, beweise noch nicht, dass einer mutig ist.
Afghanische Kinder sitzen in Gruppen auf dem Boden. Sie warten, um die Patronenhülsen einzusammeln. In einem Land so arm wie Afghanistan sind selbst diese Messingteile wertvoll genug, um einen sehr langen Marsch und das sehr lange Warten in der Hitze auf sich zu nehmen.
Schröder ruft aus TPZ: »Die wollen nur Hülsen sammeln!«
Im Hintergrund schießen die Soldaten auf ihre Übungsziele. Die Hülsen klimpern auf dem Boden.
Hauptfeldwebel Sebastian Bachert geht mit dem Sprachmittler der Bundeswehr in Richtung der wartenden Afghanen und erklärt ihm: »Die einzige Möglichkeit, die die haben, ist: Sie gehen nach hinten zu ihren Fahrrädern, warten dort, bis wir weg sind, und wenn wir weg sind, können sie alle Hülsen haben.«
Der Sprachmittler spricht mit den Jugendlichen und Kindern auf Dari: »In diesem Bereich wird jetzt eine Rakete abgeschossen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Rakete euch trifft. Hier ist die Gefahrenzone.«
Bachert: »Kommt auch nur einer dichter ran als bis zu den Fahrrädern, kriegen alle keine Hülsen.«
Bachert und der Sprachmittler schauen die kleinen Afghanen eindringlich an. Die senken die Köpfe, nehmen ihre Siebensachen und ihren Esel und entfernen sich ein Stück.
Den anderen Soldaten erklärt Bachert: »Die Kuddels (so nennen die Soldaten die Afghanen) sind nur hier wegen der Scheiß-Hülsen, weil sie für das Messing halt Kohle kriegen. Alles, was größer ist als 7,62 mm (Durchmesser des Projektils), müssen wir wieder mitnehmen, weil sie sonst die Dinger für ihre IEDs (s elbstgebaute Sprengfalle) benutzen.«
Die Soldaten gruppieren sich. Zur Übung sollen fünf Milan-Boden-Raketen abgeschossen werden. Ziel ist eine Abbruchkante am Berg. Die Raketen zischen Richtung Berg. Sie explodieren im Berg. Der Knall kommt spürbar ein paar Millisekunden später.
Dann sammeln die Bundeswehrsoldaten die größeren Projektile aus dem heißen Sand und werfen sie in Plastiktüten. Kurz danach rennen die kleinen Afghanen los, wie auf ein gemeinsames Signal. Nun sind endlich sie dran, die restlichen Hülsen aufzuklauben. Es ist ein berührendes Bild. Kleine Kinder graben den Sand nach ein wenig Messing um. Am Ende werden diejenigen, die heute Glück hatten, Messing im Wert von einem Euro zusammenbekommen. Eine Milan-Rakete kostet zirka 8.000 Euro.
Wild schaut in Richtung Kinder, dann in Richtung Sonne. Es ist 12 Uhr, und wir messen 55 Grad in der Sonne.
Plötzlich schleppen zwei Jugendliche einen kleineren Jungen heran. Er ist ohnmächtig. Die Jungs schauen die Soldaten an, hilflos und zugleich auffordernd. Der Sanitäter kommt heran und beugt sich über das Kind: »Der kriegt jetzt ein bisschen Elektrolyte, damit der Körper wieder hochkommt. Wir geben etwas Wasser raus, und dann ist das gut. Die sollen den aber im Schatten halten.« Der Junge auf dem Arm des Größeren trinkt. Der Sprachmittler übersetzt: »Bringt ihn nach Hause. In den Schatten. Und jetzt geht.«
Bei der Rückfahrt stelle ich mich in die Luke. Endlich die Umgebung ansehen und die Menschen. Alle Afghanen, an denen wir vorbeifahren, gucken zurück. Manche feindselig, manche misstrauisch, manche gleichgültig. Freundliche Blicke, Lächeln oder gar Winken? Nichts. Kurz vor dem Lager kann ich ins Tal sehen. Es gibt Felder und hohe Bäume. Die Sonne geht langsam unter. Der Staub, die Fahrzeugkolonne und die Abendsonne bieten ein surreales Bild. Dann kommen wir am Lager an. Die Schranke öffnet sich vor der Kolonne. Das Schild »Provincial Reconstruction Team Kunduz« vermittelt Sicherheit. Wir sind wieder im Feldlager. Ernste Gesichter junger Männer. Müde und verstaubt. Durchatmen.
Jan-Uwe »Juwe« Schröder – Interview
26 Jahre
Oberfeldwebel
verheiratet, eine Tochter
◆ Ihr übernehmt in ein paar Tagen die Verantwortung hier im Raum – wie fühlst du dich?
Die Nervosität steigt. Aber ich glaube, die Jungs sind froh, dass wir endlich los können und den Auftrag wahrnehmen. Wenn man selber nicht hinfährt, wer soll es dann machen?
◆ Hattest du je
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