Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Nord-Afghanistan. Zivilisation ade, oder doch zumindest beschränkt auf militärische Hochtechnologie.
Die Motoren werden leiser. Im Segelflug geht die Transall runter auf das Kunduz-Airfield. Es fühlt sich ein wenig an wie in einer Achterbahn, die abwärts rast.
Gelandet. Ein Soldat winkt die Maschine in ihre Position. Die Heckklappe öffnet sich. Das gleißende Licht blendet. Die Soldaten aus Munster steigen aus. Ihre fest geschnürten Stiefel betreten afghanischen Boden.
Es ist heiß. Und es riecht anders. Die Luft schmeckt staubig. Es ist jetzt ungefähr 7 Uhr morgens, und die Sonne verbrennt schon jede Farbe. Mit zusammengekniffenen Augen schaue ich mich um.
Ausgebrannte russische Hubschrauber stehen neben dem Rollfeld. Sie wirken wie eine Mahnung daran, dass schon andere Großmächte versucht haben, Afghanistan zu kontrollieren. Auf einem Container steht ein einzelner afghanischer Soldat mit einer Kalaschnikow und beobachtet die jungen Männer, die über das Rollfeld gehen. Neben dem Flughafengebäude hängt eine ausgebleichte Flagge in den blassen Farben schwarz, rot, grün – die afghanische Flagge – in der Sonne. Und ein Schild mit der Aufschrift:
»Welcome to Kondoz.«
180 Soldaten des Panzergrenadierlehrbataillons 92 aus Munster landen im Juli 2011 in Afghanistan. Für sechs Monate bilden sie die 3. Kompanie der Task Force Kunduz.
Ihr Auftrag: Die Provinz Kunduz durch Präsenz zu sichern, zu überwachen und dabei mehr und mehr Verantwortung an die afghanische Polizei und Armee zu übergeben.
Die Provinz Kunduz liegt im Nordosten von Afghanistan. Sie befindet sich im sogenannten Kunduz-Tal nahe der tadschikischen Grenze, rund 250 Kilometer nördlich von Kabul. Die Region ist fruchtbar und für afghanische Verhältnisse ungewöhnlich grün. Das Tal ist an drei Seiten unmittelbar und an einer Seite mittelbar von hohen Bergen umgeben, den Ausläufern des Hindukuschs.
Die Soldaten und ich werden jetzt in Mungo-Jeeps – die sogenannten Erdbeerkörbchen – verladen. Die ein Kilometer lange Strecke vom Kunduz Airport ins deutsche Feldlager fahren wir mit Helm, Splitterschutzweste – und in hoher Geschwindigkeit. Jetzt erinnere ich mich daran, in einem Kriegsgebiet zu sein. Vor dem Feldlager Kunduz wird der Fahrer langsamer. Mauern und hohe Aufbauten von »Hesco-Barriers« (mit Schutt gefüllte Drahtkörbe) schützen das Feldlager. Am Schild »Provincial Reconstruction Team Kunduz« (PRT Kunduz) stoppt der Fahrer. Unser »Erdbeerkörbchen« wird mit einem Spiegel am Stiel auf Sprengfallen kontrolliert. Afghanische Sicherheitskräfte mit Sturmgewehren und Bundeswehrsoldaten an MGs schützen das Lager.
Im Feldlager kommt unsere Kolonne am »Hauptbahnhof Lummerland« an. Der »Hauptbahnhof« besteht nur aus einem kleinen Unterstand, der Schatten bietet, und aus einer Haltebucht für die ankommenden Fahrzeuge. Wir steigen aus, schauen uns um. Hier stehen wir also. Angekommen. Wir schwitzen und rauchen unsere erste nervöse Zigarette auf afghanischem Boden.
Applaus und Jubel, als das Vorgänger-Kontingent die ersten Kameraden gen Transall in Richtung Heimat verabschiedet. Einige von den Jungs unserer Gruppe wünschten wohl auch, sie hätten ihren »Turn« schon hinter sich. Dabei sind es nur die ersten Sekunden im sechsmonatigen Einsatz der Panzergrenadiere aus Munster – und damit auch meine.
Hintergrund-Info: Nach dem Sturz der Taliban-Regierung 2001 begann der internationale Militäreinsatz der ISAF in Afghanistan. Nach Ausweitung des Mandats auf die nördlichen Provinzen übernahm im Januar 2004 die deutsche Bundeswehr eine amerikanische Liegenschaft mitten in der Stadt, in der bis Ende Mai 2006 das PRT Kunduz – unter Beteiligung verschiedener Nationen (Belgien, Niederlande, Ungarn, Rumänien, USA) – stationiert war. Seit Juni 2006 ist das PRT in der Nähe des Flughafens im neuen deutschen Camp untergebracht.
Schulstunde für Anfänger
Zwischen 2000 und 2500 Soldaten aus Deutschland, Holland, Belgien, aus den USA und Armenien leben im Feldlager der Bundeswehr. Zunächst müssen die Soldaten und ich den »Einweisungsmarathon« über uns ergehen lassen: ein zweistündiger Vortrag über die Regeln im Lager und über die Situation in der Umgebung. Auch ich soll mir die Notfallbegriffe für das Leben im Feldlager merken: Blitzschlag (Raketenangriff auf das Feldlager), Hochwasser (Feldlager wird angegriffen ), Dammbruch ( Feind ist innerhalb des Feldlagers) .
Und noch etwas sollen wir uns alle
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