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Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)

Titel: Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Schnitt
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sich nicht an die Regeln halten, seit sie für ISAF arbeiten. Immer wieder klauen sie die Schuhe der Dorfbewohner.
    Worüber unsereiner schmunzeln muss, ist für den Dorfältesten ein ernstes Problem. Die von ISAF bezahlten Kämpfer sind nicht überall beliebt.
    Der Mann mit dem edlen Gesicht redet weiter auf Schellenberger ein: »Eigentlich hätten wir lieber Patrouillen von deutschen Soldaten. Die stehlen nicht, und manchmal verteilen sie sogar Spielzeug und Süßigkeiten an die Kinder.«
    Er fügt allerdings hinzu, dass die Deutschen darauf achten sollten, was sie verteilen. Die Gummibärchen zum Beispiel würden Schweineblut enthalten. Für jeden Moslem ungenießbar und eine Sünde.
    Schellenberger lässt ausrichten, dass er das Thema ansprechen wird. Außerdem würden die LSF-Kräfte demnächst mit Stiefeln von ISAF ausgestattet. Dann wären sie versorgt und müssten sich nicht mehr bei den Schuhen der Dorfbewohner bedienen. Der Dorfälteste bedankt sich in höflicher Form.
    Dann beginnt die Schura. An einer großen Tafel sitzen etwa zwei Dutzend Afghanen aus den umliegenden Dörfern sowie Vertreter der afghanischen Armee und der Polizei.
    Am Kopf der Tafel steht Oberstleutnant Lutz Kuhn, der Kommandeur der Task Force Kunduz, der direkte Vorgesetzte von Hauptmann Schellenberger und zwei weiteren Kompanie-Chefs. Er hat die Verantwortung für die knapp 600 Soldaten der Task Force Kunduz.
    Kuhn begrüßt – auch er in aller gebotenen Höflichkeit – den Distriktgouverneur, den Kommandeur der afghanischen Armee (ANA), den Polizeichef und die anwesenden Stammes- und Dorfältesten.
    Die Schura soll die verschiedenen Gruppen miteinander bekannt machen. Außerdem möchte Kommandeur Kuhn den Afghanen seine Ziele für die Region darlegen. Dabei geht es immer darum, den Dorfältesten und Stammesführern die Vorteile einer Zusammenarbeit mit den ausländischen Truppen zu vermitteln.
    Die Dorfältesten bringen Beschwerden über die Aktionen der ISAF-Truppen vor. Kämpfe in der Nähe von Ortschaften, Bombardements der Amerikaner und mangelnden Schutz gegen die Taliban. Außerdem wünschen sie sich mehr Aufbauarbeit im Norden von Chahar Darreh. Kuhn erklärt, dass Aufbau im Norden nur möglich sei, wenn die Taliban vertrieben sind. Dabei sollen die Dorfältesten helfen. Die wiederum wenden ein, die Taliban könnten mit Hilfe der Bevölkerung nur vertrieben werden, wenn die Menschen den Aufbau durch ISAF spüren.
    So beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Afghanen wollen erst Aufbau, dann Sicherheit. Die Deutschen bestehen auf Sicherheit und wollen dann den Aufbau voranbringen.
    Während nach der Schura Reis und Hammelfleisch gereicht werden, sagt mir Kommandeur Kuhn: »Die Zusammenarbeit stellt sich natürlich unterschiedlich dar. Es gibt solche und solche Kräfte. Einige sind sehr motiviert. Andere haben erst frisch angefangen. Da fehlt es noch, nach unserer Vorstellung, an Verständnis für Recht und Gesetz, wie wir das bei uns eigentlich als selbstverständlich annehmen. Und die große Herausforderung ist es, die unterschiedlichen Gruppen a) zusammenzubringen – wie die afghanische Polizei mit der afghanischen Armee. So dass sie zusammen Operationen durchführen …«
    Die Afghanen kneten mit ihren Händen aus Reis und Hammel mundgerechte Happen.
    »… und sich b) nicht als Konkurrenz betrachten, sondern als komplementäres System.«
    Der deutsche Oberstleutnant versucht sich hier in Diplomatie. Die afghanische Polizei, die afghanische Armee, die Stammesältesten und die Bundeswehr friedlich an einen Tisch zu bringen, sagt er, das sei an sich schon ein positives Zeichen. Das mag stimmen.
    Andererseits: Die Bundeswehr ist schon seit zehn Jahren in Afghanistan. Und noch immer sind es sehr kleine Fortschritte, über die man sich freut.

Kunduz – Hamburg – Kunduz
    Am nächsten Morgen verlasse ich die Soldaten für drei Wochen. Ich fliege nach Hause, sehe meine Familie, treffe meine Freunde, schreibe das in Afghanistan Erlebte auf. Die Soldaten machen ihren Job in Kunduz weiter.
    Wieder geht es über Termez nach Hannover und von dort nach Hamburg. Die meiste Zeit schlafe ich, drücke nur zwischendurch die Daumen, dass ich die Jungs bei meiner Rückkehr alle gesund wieder antreffe. Wie kann ich das Erlebte einordnen? Vor Ort gelingt mir das selten. Zu sehr ist man mittendrin in der Situation, ein Abrücken unmöglich. In den Ruhephasen? Pennt man, isst, duscht oder versucht sich durch Lesen und Filmegucken auf dem

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