Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Afghanen. Der Afghane trägt keine Uniform, aber eine Kalaschnikow. Er ist der Führer der »lokalen Sicherheitskräfte« (LSF). Die internationalen Truppen wollen den Vormarsch der Aufständischen um jeden Preis verhindern. Ein Rezept scheint die Aufstellung von Milizen zu sein, auch wenn Bundeswehroffiziere darauf achten, dieses Wort zu vermeiden. Stabilisierung auch über lokale Sicherheitskräfte ist Teil der Abzugsstrategie der ISAF. Der im Sommer vergangenen Jahres abgelöste Kommandeur der internationalen Truppen, General David Petraeus, bezeichnete die LSF-Kräfte als »Nachbarschaftswache mit AK-47«. Also als Nachbarschaftswache mit Kalaschnikow.
Wenig später sitzt Hauptmann Paul mit dem Mann bei Tee und Fladenbrot. Der Afghane hat Ähnlichkeit mit dem 2001 getöteten Führer der Nordallianz Ahmad Shah Massoud. Der deutsche Offizier und der Afghane nippen an ihrem Tee, reißen Stücke vom Fladenbrot ab, kauen und unterhalten sich professionell entspannt. Es geht darum, dass die Deutschen demnächst abziehen wollen. Das ist auch in der Provinz Kunduz kein Geheimnis mehr. Die lokalen Sicherheitskräfte wollen Waffen und Geld, um sich gegen die Taliban verteidigen zu können. Waffen kann Paul nicht bieten, aber er könne vielleicht mit Benzin aushelfen. Der Shah-Massoud-Typ scheint nicht uninteressiert.
Pauls Aufgabe ist die Informationsgewinnung und militärische Aufklärung durch HUMINT. Als HUMINT bezeichnet man die Erkenntnisgewinnung aus menschlichen Quellen. Pauls Eltern sind aus Russland nach Deutschland gekommen. Sein Vater war auch schon in Afghanistan – vor knapp dreißig Jahren als Sowjetsoldat. Während jetzt ein Bagger beginnt, die Straße weiter zu öffnen, teilen sich Paul und der Afghane eine Wassermelone. Paul fragt ihn, wer die Taliban unterstützt. »Wer die Taliban unterstützt? Vielleicht der Iran? Das weiß nur Gott.«
An Pauls Hand prangt ein auffälliger goldener Ring in Form eines Löwenkopfes. »Zum Eindruckschinden«, erklärt der Nachrichtenoffizier mir später. »Immer den Chef markieren, sehr wichtig. Sonst respektieren die Afghanen dich nicht.«
Paul zu »Massoud«: »Wir finden immer wieder Sprengfallen. Wer baut denn die?«
Der Afghane weicht aus: »Die kommen nachts, wir sehen sie nicht. Wir können auch nicht überall sein.«
Im Hintergrund kochen sich zwei afghanische Polizisten Tee. Ein anderer wäscht sich im Bach das Gesicht. Ein idyllisches Bild. Dann sehe ich seine Panzerfaust zwischen zwei Ästen am Baum hängen. Und mir fällt auf, dass ich hier der Einzige bin, der keine Waffe hat.
Der Außenposten der Afghanen wurde in der letzten Woche dreimal angegriffen, erzählt der LSF-Führer. Immer in der Nacht. Die Aufständischen sind schnell da, schießen ein paar Salven mit ihren Sturmgewehren, feuern eine RPG ( russische Panzerfaust ) ab und verschwinden wieder im Dunkeln, behauptet er. »Wenn sie kommen, seid ihr nicht hier!« Tatsächlich greifen die Aufständischen vermehrt die afghanischen Sicherheitskräfte an. Sie sind schlechter ausgestattet als die deutschen Soldaten, also auch leichter zu treffen. Außerdem wird die Bundeswehr abziehen. Die lokalen Kräfte bleiben. Der Afghanistan-Krieg wird wieder stärker ein Bürgerkrieg. Die Aufgabe von Hauptmann Paul ist es, dafür zu sorgen, dass die richtige Seite so lange wie möglich die Oberhand behält.
Nach ungefähr drei Stunden ist die IED-Suche beendet. Es wurde an keiner der Verdachtsstellen eine Sprengfalle gefunden. Die Soldaten ziehen ab. In Reihen marschieren sie durch die Felder zu ihren Fahrzeugen. Die afghanischen Sicherheitskräfte bleiben zurück. Fünfzehn Minuten dauert unser Weg »nach Hause« ins Polizeihauptquartier. Ich lege mich aufs Feldbett und schlafe erschöpft ein.
Schura und die Geschichte vom Pferd
PHQ I Polizeihauptquartier Chahar Darreh
Drei Afghanen in Polizeiuniform gehen über den Hof vor dem Wachturm. Sie gehen in Richtung afghanisches Polizeihauptquartier. Schröder sagt mir, der mit dem breiten Gang und dem Schnurbart, das sei der Polizeichef von Chahar Darreh. Die anderen beiden seine Leibwächter. Im Polizeigebäude neben dem Außenposten der Bundeswehr findet heute eine von der Bundeswehr einberufene Schura statt. Die Schura ist in Afghanistan eine beratende Versammlung. Traditionell kommen dabei – auf Grundlage islamischen Rechts – die Stammesältesten und Entscheidungsträger einer Region zur Unterredung zusammen.
Der Kommandeur der Task Force Kunduz –
Weitere Kostenlose Bücher