Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Sachstand, man geht davon aus, dass da mehrere Tote drin liegen«, berichtet Isensee.
»Der Chef (Kompanie-Chef Schellenberger) will die sehr frühen Morgenstunden nutzen.« Auftrag: Der Foxtrott-Zug – und damit auch Isensee, Schröder und sein Trupp – soll sich weitere IED-Verdachtsstellen auf der Verbindungsstraße LOC Cherry anschauen.
30 Minuten später, es muss jetzt etwa 4:45 Uhr sein, bin ich mit einer Kolonne der Task Force Kunduz kurz vor diesem Sandweg, der in den Norden von Chahar Darreh führt. Ich sitze eingezwängt in einem Schützenpanzer. Neben mir ein Scharfschütze, der Platzangst hat und dem im Schützenpanzer regelmäßig schlecht wird. Ich kann ihn verstehen, der »Marder« bewegt sich auf und ab. Schaukelt wie ein Schiff. Mir tun wegen der Enge die Knie weh, der Scharfschütze kämpft mit dem Magen. Dann die Meldung durch die Luke: »Wir sind jetzt auf der Cherry.«
Es gibt drei Straßen in den Norden von Chahar Darreh. Auf allen dreien wird jeden Tag vor Sprengfallen gewarnt. Die Aufständischen verhindern so, dass die Bundeswehr tiefer in ihre Gebiete eindringt.
Zum ersten Mal spüre ich Angst. Der magensensible Scharfschütze sagt nichts. Ich atme tief durch, denke, jetzt kannst du eh nicht mehr aussteigen. Der Schützenpanzer rumpelt weiter. Es ist eng und heiß. Durch die Luke im Dach des Panzers sehe ich ab und zu den Mond. Niemand spricht. 15 Minuten vergehen so, rumpelnd, schweigend, dann halten wir an. Soweit nichts passiert. Der Scharfschütze und ich steigen aus. Er bezieht Stellung irgendwo im Feld, ich sammle mich mit Schröder und den anderen, die in ihrem Fahrzeug einen Hauptmann vom militärischen Nachrichtendienst transportiert haben. Deshalb hatte ich neben dem Scharfschützen Platz nehmen müssen.
Körner: »Man ist halt schon angespannt. Man weiß ja nie, was passiert.«
Die Soldaten marschieren durch ein Baumwollfeld. Afghanische Kinder stehen an einem Bach und waschen sich – und dazu ein Häuflein Geschirr.
Wir sind an einem COP, einem kleinen Vorposten, angekommen. Zirka 800 Meter weiter, als man vom Polizeihauptquartier überblicken kann. Nur 800 Meter, aber das Bedrohungsgefühl ist da. Der Vorposten wird von afghanischer Polizei und sogenannten lokalen Sicherheitskräften bewacht.
Morgengrauen – besser lassen sich das Licht und die Stimmung nicht beschreiben. Ein paar von den deutschen Soldaten sprechen mit den Afghanen vor Ort. Ich kann ihre Worte nicht hören, aber es klingt aufgeregt, beinahe aggressiv. Sehen kann ich auch nichts, es ist diesig. »Hallo?«, rufe ich. Der Zugführer fährt mich an: »Ruhe! Jetzt nicht!« Die Waffen der Afghanen sind entsichert. Sie sind nervös. Der Sprachmittler der Einheit redet auf sie ein. Nach ein paar Minuten wird es ruhiger.
Ein Missverständnis, jetzt ist es aufgeklärt. Die Afghanen dachten, die Deutschen seien gekommen, um sie zu bekämpfen, sagt mir der Zugführer. Anscheinend haben sich insbesondere die lokalen Sicherheitskräfte noch nicht daran gewöhnt, dass die Bundeswehr nun nicht mehr der Feind ist.
Wie vorher festgelegt, fahren die deutschen Fahrzeuge in das an die Straße grenzende Feld. Ein Parkplatz wird frei geschoben, dort beziehen die Dingos und Fuchs-Transportpanzer Stellung. Später wird ein Bauer Kompensation für die Schäden an seinem Feld verlangen. Zur Abschreckung bleibt – von weitem sichtbar – ein Schützenpanzer Marder stehen. Der Marder ist schweres Kriegsgerät. Aufgrund der verschärften Bedrohungslage wurden die Panzer im Frühjahr 2009 nach Kunduz verlegt.
Die Soldaten gehen in die Hocke. »Sicherung steht!« Isensee zeigt Schröder, wo er sich mit seinem Trupp postieren soll. EODs gehen mit Sonden in der Hand die Straße hinunter. Systematisch wird jeder Zentimeter geprüft. Schröder schaut rüber zu den Sprengstoffbeseitigern. »Gerade diese Ungewissheit, wie man reagiert, wenn ein IED vor oder unter einem hochgeht, die macht einem doch eine gewisse Angst. Respekt vor denen, die das nicht haben, … also ich wüsste keinen.«
Während die Soldaten die Umgebung sichern und die Sprengstoffbeseitiger die Straße umgraben, fällt mir Hauptmann Paul auf. Etwa 165 Zentimeter groß, rundes Gesicht, in dem ein kräftiger Schnurrbart wächst. Er hat helle Haut und wache Augen. Seinen richtigen Namen kenne ich übrigens bis heute nicht. Er wurde nur Hauptmann Paul genannt oder über Funk Yankee 10.
Zusammen mit seinem Übersetzer ist Hauptmann Paul gerade im Gespräch mit einem
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