Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Oberstleutnant Lutz Kuhn – und auch Hauptmann Schellenberger haben zur Schura geladen. Auf afghanischer Seite werden die Stammes- und Dorfältesten der Region sowie Vertreter der afghanischen Polizei und der afghanischen Armee erwartet.
Zwei Afghanen mittleren Alters, wie alt, ist schwer zu erkennen – ein Afghanistan-Kenner sagte mir mal: »Mit 30 sehen Afghanen aus wie 40, mit 40 wie 60 und mit 60 wie 45« –, treten vor dem Raum, in dem die Schura stattfindet, an Hauptmann Schellenberger und seinen Übersetzer heran. Die beiden sind Brüder, erklären sie. Sie sind elegant gekleidet: weiße Gewänder, darüber graue Westen und auf dem Kopf die traditionelle Kopfbedeckung, den Pakul. Eine Mütze, bei der die Seiten aufgerollt werden und dann ein dickes Band bilden, dabei sitzt der Pakul wie ein Barett oder eine Kappe. Beide haben gepflegte, schon teilweise weiße Vollbärte. Ihr Anliegen: Das Pferd des einen Bruders sei bei einem Angriff von ISAF-Truppen getötet worden. Die Brüder behaupten mehr oder weniger glaubwürdig, dass es sich bei dem getöteten Tier um ein Buzkashi-Pferd gehandelt habe.
Buzkashi ist ein traditionelles Reiterspiel in Afghanistan. Ziel beim Buzkashi ist es, auf Pferden eine tote Ziege – manchmal auch ein totes Kalb – zum Preisrichter zu bringen. Gespielt wird jeder gegen jeden. Die Pferde, die beim Buzkashi eingesetzt werden, haben einen besonders kräftigen Körperbau. Kraft und Schnelligkeit sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein solches Pferd mitbringen muss. Die Tiere sind so trainiert, dass sie sich von so gut wie nichts aufhalten lassen. Um Angreifer aus dem Weg zu räumen, beißen, treten und drängen sie unerbittlich. Die Pferde sind dementsprechend wertvoll – die Brüder verlangen eine Entschädigung von 2000 Dollar.
Schellenberger sagt seinem Übersetzer (im Bundeswehr-Deutsch Sprachmittler) : »Teile den beiden in höflichster Form mit: Der Verlust des Pferdes tut mir leid.«
Der Deutsch-Afghane übersetzt. Die Afghanen nehmen die Beileidsbekundung ebenso höflich auf und bedanken sich in aller Förmlichkeit für die Anteilnahme.
Schellenberger fragt: »Wissen die beiden, welche Nationalität die Soldaten hatten?«
Einer der Brüder antwortet: »Es waren Amerikaner, die in der Nacht kamen. Sie haben Amerikanisch gesprochen. Das haben mir Leute aus dem Dorf erzählt. Sie haben das Haus neben meinem Haus gestürmt und Granaten abgeschossen. Dabei ist mein Pferd getötet worden.«
»US-Spezialeinheiten, die in der Nacht Taliban-Anführer festsetzen«, sagt mir Schellenberger. Seinem Übersetzer diktiert er: »Sag ihnen, das waren Amerikaner. Ich kann ihnen nicht direkt helfen. Sie sollen einen Antrag über den CIMIC-Offizier des PRT stellen.«
Der CIMIC-Offzier ( Civil-Military Co-operation), ein junger Mann mit Halbglatze, sonnenverbrannter Haut und einem starken deutschen Akzent im Englischen, ist zuständig für die zivil-militärische Zusammenarbeit, also auch für Schadensersatzansprüche, die sich aus militärischen Aktionen ergeben. Kurz sprechen die beiden Brüder mit dem CIMIC-Mann. Er beteuert, sich zu kümmern. Mir sagt er: »Da wurde wahrscheinlich ein Esel erschossen. Uns erzählt er von einem Buzkashi-Pferd. Am Ende zahlen wir ein normales Pferd. Die Afghanen holen halt raus, was sie können.«
Hauptmann Schellenberger löst sich von den Brüdern, geht ein paar Schritte Richtung Versammlungsraum und wird von einem Dorfältesten angesprochen. Ein älterer Mann mit feinen Gesichtszügen und einem langen weißen Bart.
Der Sprachmittler übersetzt: »Der Mann ist der Vorsteher eines Dorfes in der Nähe des PHQs. Er sagt, er freut sich über die gelegentlichen Patrouillen der deutschen Soldaten.«
Schellenberger lässt übersetzen, dass er froh darüber ist, dass die Patrouillen auf Zustimmung stoßen.
Zunächst lassen die beiden sich über den Sprachmittler weitere Höflichkeiten ausrichten. Der Offizier hat sich ganz offensichtlich die afghanische Form der Höflichkeit angeeignet: Der junge Deutsche und der alte Afghane fragen sich nach dem jeweiligen Befinden, versichern sich des gegenseitigen Wohlwollens und tauschen zunächst Phrasen aus.
Nach ein paar Minuten kommt der Afghane zum Punkt: »Es ist in Ordnung, dass die lokalen Sicherheitskräfte die Gegend vor den Taliban schützen.« Doch Hauptmann Schellenberger solle sie bitte davon abhalten, in seinem Dorf Schuhe zu stehlen. Die »Arbakis« – wie er die LSF-Kräfte nennt – würden
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