Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
amerikanischen Kampfhubschrauber ihre Raketen auf die Angreifer abfeuerten und sie vertrieben. Außerdem ist auch meine Erleichterung über den glimpflich verlaufenen IED-Anschlag auf Hauptmann Schellenberger und den Golf-Zug noch frisch.
Beide Ereignisse führen dazu, dass ich meine Neutralität als Journalist auf den Prüfstand stelle. Und vielleicht hat sich der eine oder andere Leser ja auch schon gefragt, wie ich es damit halte.
Ich habe mir, als ich dieses Projekt geplant habe, vorgenommen, als Zivilist – noch dazu als Journalist – wenn schon nicht objektiv, dann zumindest neutral zu sein. Auf keinen Fall wollte ich mich in diesem Konflikt auf eine der beiden Seiten schlagen. Unabhängigkeit und Neutralität machen auch für mich guten Journalismus aus. Amerika geht im Hinblick auf US-Soldaten im Krieg damit anders um. Dort berichtet man über die »Boys« in den US-Einsatzgebieten mit viel Empathie. Das ist in Deutschland nicht so. Hier wird über den Krieg in Afghanistan neutral bis kritisch berichtet. Völlig in Ordnung. Auffällig finde ich nur, dass die Soldaten selbst selten Thema sind, meist geht es in deutschen Medien um die Frage nach Sinn oder Unsinn des Einsatzes generell.
Mir war von Anfang des Projektes an klar, dass ich als »embedded« oder auch »tief integrierter« Berichterstatter Probleme mit meiner Neutralität bekommen würde. Ich bin ausschließlich mit den Bundeswehr-Soldaten unterwegs, bin tagtäglich 24 Stunden von ihnen umgeben. Teile Essen, Schlafplatz und ihre Perspektive mit ihnen. Lerne sie kennen, spreche mit ihnen über das, was sie bewegt. Dass ich gegenüber »meiner Gruppe« eine – natürlich zivile – Form der Kameradschaft entwickeln würde, war mir sehr bewusst. Diese Nähe würde es natürlich schwer machen, neutral und ohne Emotion über die Männer zu schreiben. Aber ohne Empathie und ohne Gefühle über meine Gruppe zu schreiben, war auch nie Aufgabe dieses Buches. Wie eingangs schon gesagt, möchte ich berichten, was die Soldaten der Task Force Kunduz und insbesondere die Gruppe Foxtrott 4 aus Munster in Kunduz erleben und was in ihren Köpfen abläuft. Das soll gar nicht neutral und nüchtern sein. Auf diesen Verlust von Neutralität war ich also vorbereitet.
Auch eine Situation, in der »mein« Foxtrott-Zug angegriffen wird, habe ich mir ausgemalt. Ganz klar , dass ich mir dann wünschen würde, dass die Bundeswehr-Soldaten den Feind vertreiben. Wenn es denn sein muss, sogar töten. Diesen Gedanken habe ich akzeptiert, als ich beschlossen habe, mit der Bundeswehr »in den kriegsähnlichen Zustand« zu gehen. Aber das wäre dann eine Situation, in der ich und die Menschen um mich herum direkt bedroht wären. Da wäre ich selbstverständlich auf Seiten derer, die mich 1. verteidigen, und 2. auch auf Seiten derer, die ich kenne. Auch in dieser hypothetischen Situation war mir vorher klar, dass ich nicht neutral würde sein können.
Was sich in der ersten Nacht auf der Höhe 432 abgespielt hat, war aber etwas anderes. Ich war in keiner Weise bedroht. Das Gefecht war für mich noch nicht mal zu sehen, nur aus der Ferne gehört habe ich es. Und ich kannte auch niemanden, der daran beteiligt war. Ich habe in dem Gefecht zwischen Aufständischen und den ISAF-Truppen ohne nachzudenken instinktiv Position bezogen.
Damals hat mich meine Reaktion irritiert.
Jetzt weiß ich, dass ich mich mit einer so engen Anbindung an die Soldaten genau auf dieses Dilemma eingelassen habe. Natürlich hatte ich von Anfang an ein Eigeninteresse daran, dass die Soldaten, mit denen ich unterwegs bin, und auch ihre Verbündeten in diesem Konflikt die Oberhand behalten.
Und ich muss mir eingestehen, dass ich als Autor hier vor Ort nicht unbefangen bin und auch nicht neutral. Andere Journalisten, insbesondere solche, die in Krisengebieten und in Afghanistan arbeiten und gearbeitet haben, mögen mich verfluchen. Vielleicht bin ich auch einfach zu jung, zu naiv und werde die Fähigkeit, unter solchen Umständen neutral zu bleiben, noch lernen müssen.
Trotz dieser Einsicht fühle ich mich weiterhin unabhängig in dem, was ich denke und aufschreibe, und ich versichere hiermit dem Leser – und mir selbst an diesem Abend –, dass ich alle Erlebnisse in Afghanistan, die mir interessant, erkenntnisreich oder unterhaltsam genug erscheinen, in diesem Buch aufschreiben werde. Es gibt weder eine direkte noch eine selbst auferlegte Zensur durch irgendeine Institution oder sonst jemanden.
Und so
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