Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
vergewissern, wo er ist.
»… aber danach fällt einem das, wenn die Kamera aus ist, wieder richtig schwer, dass man das alles nicht mitbekommt. Man macht sich auch Gedanken, ob es das alles wert ist …«
Pause. Dann, pflichtbewusst: »Aber es gibt auch immer wieder Situationen, wo man weiß, warum man hier ist.«
Die Phasen der Eintönigkeit habe ich total unterschätzt. Alltagsroutine, Durchhängen, Leerlauf – das hatte in meiner Vorstellung von dem Einsatz keinen Raum. Jetzt erlebe ich es: Es ist langweilig, es ist stumpfsinnig. Der Dienst der Soldaten hier oben bedeutet auch: geradeaus in die Landschaft gucken. Und da passiert meist nichts. Wir hocken auf diesem verdammten Hügel, und ich frage mich, wieder einmal, was wir hier machen. Und nicht nur ich, auch die Soldaten fragen sich manchmal, was sie hier tun. Aber sie tun es: Sie bewachen einen dreckigen, kahlen, staubigen Hügel.
Nach neun Tagen auf der Höhe 432
Daniel »Gina« Wild hockt neben einer hellblauen Plastikschüssel. Aus 0,5-Liter-Flaschen füllt er Wasser in die Schüssel. Neben ihm liegt ein Häuflein Wäsche. Socken, Unterhosen und T-Shirts. In die Schüssel kommt nun Rei aus der Tube. Selbst ist der Mann. Mutter, Freundin und auch die Bundeswehrlogistik – alle, die den jungen Soldaten sonst die lästige Pflicht abnehmen könnten –, sie sind weit, weit weg.
Also scheuert Daniel seine Socken selbst. Spätestens nach der dritten Socke ist das Wasser eine braune Suppe. Der Dreck auf der Höhe dringt tief ein. Während Wild seine Wäsche macht und darüber flucht, dass seine Mutter das hier nicht eben mal übernehmen kann, kommt er auf die letzten Telefonate nach Hause zu sprechen:
»Meiner Mutter erzähl ich eigentlich nicht so viel. Weil ich ganz genau weiß, die macht sich Sorgen. Wir sprechen zwar, ich hab ihr auch mal geschrieben, Bilder geschickt, wie es hier aussieht. Aber eigentlich sag ich nur, dass das Wetter schön ist und dass es mir gut geht. Das reicht, mehr wollen die auch gar nicht hören.«
Plötzlich aufgeregte Rufe von der Südstellung. Matthias Chill schaut durch das Fernglas. Schröder kommt heran. »Was gibt’s?«
Chill: »Auf der Straße da hinten geht ein Junge mit irgendwas in der Hand. Sieht aus wie eine Waffe. Er kommt auf uns zu.«
Die Soldaten sind alarmiert. Jetzt hat auch Schröder ein Fernglas in der Hand.
Gespannte Stille. Dann Entwarnung: »Das ist ein Spielzeug-Gewehr«, ruft Chill.
Schröder atmet hörbar aus: »Alter Schwede. Spinnt der?«
Als der Junge näher kommt, lässt Schröder den deutsch-afghanischen Sprachmittler Kontakt aufnehmen. Auf Dari ruft er dem Jungen am Fuß der Höhe zu: »Hallo, wie geht’s? Was hast du da in der Hand? Was ist los?«
Der afghanische Junge winkt mit dem Plastikgewehr.
Der Sprachmittler ruft: »Warum kommst du in diese Richtung?«
Der Junge antwortet nicht, reagiert nicht.
»Das ist gefährlich. Wir könnten auf dich schießen.«
Chill und Körner beobachten die Szene. Der Deutsch-Afghane erklärt den Soldaten: »Der spielt nur. Ich habe ihm gesagt, dass das super-gefährlich ist …«
Die Stimmung entspannt sich. Die Soldaten sind erleichtert, nicht überreagiert zu haben.
»… wir können nicht wissen, ob das echt oder nicht echt ist. Dann erschießen wir ihn, und dann heißt es, wir haben einen Zivilisten erschossen.«
Später erzählt mir der Sprachmittler, dass er den Eindruck hatte, der Junge sei geistig etwas zurück, etwas schwer von Begriff gewesen. Das wäre eine Erklärung für seinen riskanten Auftritt.
Chill und Körner stehen zusammen neben der Hantelbank in der Mitte des Vorpostens. Chill mit Cornflakes, Totti Körner in Boxershorts, ohne T-Shirt, aber in der Hand sein G36-Sturmgewehr. Was ist das denn? Abenteuercamp? Nicht nur ich muss lachen, als ich die beiden so sehe, die anderen Soldaten tun es auch. Wenn sie keine Wache haben, laufen sie ohne T-Shirt mit kurzen Hosen oder Boxershorts und in Flip-Flops über den Außenposten. Hier oben kümmert sich keiner um die Kleidervorschriften. Ich frage Körner und Chill nach ihrer Freundschaft
Chill sieht das so: »Mit Totti war ich schon vor dem Einsatz dicke. Während der ganzen Vorübungen. Er ist ja auch schon drei Jahre beim Bund …«
Die beiden sitzen nebeneinander, vertraut wie ein altes Ehepaar. Chill nimmt immer wieder einen Löffel von seinen Cornflakes, Totti checkt seine Waffe durch.
»… drei Jahre arbeiten wir zusammen. Aber durch den Einsatz sind wir noch mehr
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