Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Soldaten ist greifbar. Man klopft sich auf die Schulter. Zwei umarmen sich. Und auch ich atme tief durch. Wenn einem der Soldaten etwas zugestoßen wäre, ich wüsste nicht, wie ich damit umgegangen wäre. Klar, es sind nicht meine »Kameraden«, aber ich kenne sie. Teilweise nicht nur oberflächlich. Mit Hauptmann Schellenberger habe ich lange Gespräche geführt, ich habe seine Frau und seine Tochter getroffen. Wieder begreife ich, dass Neutralität in solchen Situation fast unmöglich ist – weder vom Kopf her noch vom Bauch. Gefühle ausschalten? Ausgeschlossen. Nicht menschenmöglich.
Am frühen Abend treffe ich Hauptmann Schellenberger im Gefechtsstand. Ich will mit ihm über den IED-Anschlag sprechen. Er sitzt an einem kleinen Schreibtisch, hinter ihm eine große Karte der Region Kunduz mit der Aufschrift »NATO-Restricted«.
An die Wand gegenüber strahlt ein Beamer die Liveübertragung einer Drohne. In schwarz-weiß sieht man Felder und Dörfer. Schellenberger tippt noch schnell etwas in seinen Computer, dann begrüßt er mich. Er wirkt gefasst.
Wie hat er, der militärische Führer der Kompanie, diesen Anschlag erlebt?
Schellenberger blickt auf die Tischplatte aus hellem Holz. Er spricht ruhig und sachlich. »Unmittelbar vor uns eine heftige Detonation, dann ging diese riesige Staubwolke hoch, ich vermute 30 bis 40 Meter. In der ist das Fahrzeug, das vor mir fuhr, völlig verschwunden.«
Was hat er gefühlt?
»Mir ist in dem Moment, das kann ich ruhig sagen, wirklich erst mal das Herz stehengeblieben … Das war die Phase, wo ein unheimlicher Adrenalin-Ausstoß da ist und die unheimliche Sorge um die Jungs, die da gerade in dieser Detonation vor mir verschwunden waren … Dann war Stille, es dauerte gefühlt minutenlang …«
Er schaut hoch zum Beamer, dann wieder auf die Tischplatte, dann mir ins Gesicht.
»… und als dann der Funkspruch kam, ›es sind alle save, wir sind alle durch‹, ist mir ein echter Stein vom Herzen gefallen.«
Bei diesem Einsatz, sagt Schellenberger auf seinem Stuhl an seinem kleinen Schreibtisch im Gefechtsstand, sei seine Verantwortung für die Soldaten seiner Kompanie »so konkret geworden, wie das vorher einfach noch nicht der Fall war. Und am intensivsten eben jetzt bei diesem Anschlag«.
Ob man das, was die Bundeswehr in Afghanistan macht, Krieg nennen soll oder darf, wurde 2009/2010 in Deutschland heiß diskutiert. Ergebnis der Debatte: juristisch, im Sinne des Völkerrechts, wohl kein Krieg; für die Soldaten gefühlt natürlich Krieg. Politiker benutzen nun, um beiden Erkenntnissen Rechnung zu tragen, den verschwurbelten Terminus: kriegsähnlicher Zustand.
Für mich hat damals der Chef der Instandsetzungskompanie (InstKp) die Diskussion beendet. In seine Halle wurden die von IEDs zerstörten Fahrzeuge gebracht. Auf die Frage des Reporters nach der Begrifflichkeit antwortet er: »Wir spülen hier mit dem Kärcher das Blut unserer Kameraden aus den zerfetzten Fahrzeugen. Das ist es, was hier in Kunduz passiert. Glauben Sie, es schert mich, wie die Politiker in Berlin das nennen?«
Auch heute interessiert derlei Begrifflichkeits-Gedöns in Afghanistan keine Sau – nicht die Soldaten und schon gar nicht die Taliban. Tatsache ist, dass in dem Gebiet, in dem wir uns tagtäglich bewegen, beide Seiten – Bundeswehr und Aufständische – Waffen tragen und auch einsetzen. Waffen sind zum Töten gemacht – Sturmgewehre, Panzerfäuste, Sprengfallen, Granaten, Maschinengewehre, Minen und vieles mehr, die Liste ließe sich seitenlang fortführen. Beide Seiten setzen diese Waffen gegeneinander ein. Beide Seiten wollen den jeweiligen Gegner töten.
Spätestens, als der angesprengte Schützenpanzer-Marder auf den Ehrenhain fuhr, wurde das mir und den Soldaten der 3. Kompanie wieder mal unmissverständlich vor Augen geführt. Wir sahen eingedellten Stahl, das zerfetzte Tarnnetz, tiefe Schrammen, die zerstörten Schutzaufbauten und die Soldaten mit komplett braunen Gesichtern von der Staubwolke. Aber sie haben gegrinst. Sie leben, sie sind unverletzt.
Neutralität als »tief integrierter« Journalist?
Am Abend liege ich frisch geduscht und wohlig in eine echte saubere Decke eingehüllt auf meiner Stube im Feldlager Kunduz. Erst hier und jetzt finde ich die Ruhe, über meine seltsame Reaktion in der Nacht auf der Höhe 432 nachzudenken. Zur Erinnerung: Aufständische hatten einen Außenposten verbündeter Afghanen angegriffen. Ich hatte Genugtuung empfunden, als die
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