Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
Oberstleutnant Lutz Kuhn gesprochen: »Lokale Sicherheitskräfte sind teilweise ehemalige Taliban-Kämpfer, die jetzt nicht übergelaufen sind, das wäre ein falscher Begriff, aber die nicht mehr den Kampf gegen Deutsche und ISAF-Kräfte oder afghanische Sicherheitskräfte führen. Und die versuchen wir in Sicherheitsstrukturen zu übernehmen …«
Während ich an die Worte des Kommandeurs denke, rollen weitere Pick Ups mit LSF-Kräften auf den Hof. Vermummt, bewaffnet mit Kalaschnikows und Raketenwerfern, hocken Ex-Taliban auf den Ladeflächen. Vertrauenerweckend ist anders.
»… eins ist dabei klar, diese Männer sind ohne Arbeit, ohne Einkommen. Und man muss ihnen ein Ziel geben, eine Beschäftigung, so dass sie ihre Familie ernähren können. Und dann kann man es sicherlich auch erreichen, dass sie nicht wieder zu den Taliban zurückgehen.«
Über Funk kommt der Befehl zum Abmarsch. Schröder gibt durch: »Fox 4 rollt« und dann: »Fox 4 PHQ out.« Wir sind das erste Fahrzeug der Kolonne, direkt vor uns ein Pick Up mit LSF-Kräften. Die Soldaten von Fox 4 wirken nicht begeistert. Ich frage Körner nach seiner Einschätzung:
»Ich mach nur meine Aufgabe, und wenn die da mitlaufen … Also vertrauen tue ich denen nicht. Wollen wir mal hoffen, dass nichts passiert und dass die weiter so mit uns arbeiten wie vorher auch. Dass da keiner austickt und auf uns schießt.«
Wir kommen an der Höhe 432 an. Durch den Staub, den die Fahrzeuge aufgewirbelt haben, ist der Hügel fast nicht zu erkennen. Im Hintergrund sammeln sich die LSF-Kämpfer. Schröder schaut rüber und grummelt: »Ich will nicht wissen, wie viele von uns die schon umgebracht haben.«
Hauptmann Schellenberger steht ein paar Meter weiter und bespricht sich mit dem Chef der ANA-Einheit. Ob er Verständnis hat für das Misstrauen seiner Soldaten?
»Ich kann schon verstehen, dass es bei dem einen oder anderen Soldaten Vorbehalte gibt gegen die Zusammenarbeit mit afghanischen Sicherheitskräften. Insbesondere in der Zusammenarbeit mit Local Security Forces. Auf der anderen Seite muss man sehen, anders kann es für uns keinen sinnvollen Weg aus Afghanistan raus geben.«
Schellenberger lässt seine Soldaten sammeln. Zu Fuß geht es weiter in Richtung Isa Khel. Die Route führt quer über die Felder; so wenig wie möglich will Schellenberger seine Soldaten auf den Straßen haben, die in die Ortschaft führen. Dort legen die Aufständischen gern ihre Sprengfallen. Dass Soldaten kommen, dürfte kein Geheimnis mehr sein. Dafür sind zu viele afghanische Kräfte beteiligt.
Vor uns und neben uns laufen die lokalen Sicherheitskräfte mit ihren Kalaschnikows und Raketenwerfern auf dem Rücken. Wenn ich jetzt im Lexikon unter »Taliban« nachschlagen würde, denke ich, wäre dort ein Foto von genau diesen Typen. Sie sehen genauso aus, wie ein Westler sich einen Taliban vorstellt. Auch den Soldaten merkt man an, dass die angespannt sind. Alle paar Sekunden schauen sie über die Schulter und kontrollieren, was die LSF-Typen gerade machen.
Hauptmann Schellenberger will – soweit es die Lage zulässt – auf Nummer sicher gehen und funkt: »Es gibt Absprachen mit den LSF-Kräften. Ich will wissen, was die wissen, und ich will deren Absicht wissen. Kommen.«
Langsam bewegen sich die Soldaten durch die Felder – Weizen, Baumwolle – in Richtung der Ortschaft. Einer nach dem anderen. Aufgereiht wie Perlen in sandfarbenem Tarnmuster an einer langen Kette.
In der Ferne sehen wir die Ortschaft. Jetzt kommt Hauptfeldwebel Bachert, der den Kopf der Kolonne bildet, zu Zugführer Isensee. »Folgendes: Und zwar hat die ANA heute bei der Gesprächsaufklärung gesagt, dass die LSF wahrscheinlich die Rakete abgeschossen hat. Dass das also wahrscheinlich einer von den LSF ist, eventuell sogar der Führer … Unser Sprachmittler war dabei.«
Ungläubiger Blick bei Isensee: »Der Führer der LSF-Kräfte ist für die Raketen verantwortlich?«
Bachert: »Das sagt die ANA. Die meinen den Dicken, der da vorne geht. Ich weiß nicht, ob Paul mit dem direkt schon gesprochen hat, ob das der ist. Der Sprachmittler hat sonst auch einen Namen für ihn.«
Isensee ist beunruhigt und gibt die Meldung über Funk an den Gefechtsstand weiter: »Unser Sprachmittler war vorhin bei der Gesprächsaufklärung mit ANA dabei. Die beiden LSFler, die wir hier dabei haben, könnten unter Umständen diejenigen sein, die die Raketen selbst abgeschossen haben auf das Lager. Kommen.«
Über uns fliegen
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