Foxtrott 4: Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan (German Edition)
möge man mir verzeihen, wenn ich die Gruppe von Oberfeldwebel Schröder in Teilen nicht ausschließlich neutral beschreibe, sondern mich bemühe, ihre Standpunkte zu verstehen. Das heißt aber eben auch, dass ich Aussagen oder Handlungen, die nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen, aufschreiben werde. Insbesondere dann, wenn sie nicht der Sprachregelung der deutschen Politik oder der Bundeswehr entsprechen. Denn dass die Ansichten bei den Soldaten, die in Afghanistan »am Boden« eingesetzt sind, und denjenigen, die in den Stäben ihren Dienst tun, nicht immer deckungsgleich sind, habe ich schon mehr als einmal mitbekommen.
Schwarzer Freitag
Als ich am Morgen – ich habe (und bin) etwas verschlafen – aus meiner Stube komme, steht Zugführer Andi Isensee bei den Soldaten: »Es gab tatsächlich einen Raketenangriff. Aus dem Bereich nordwestlich Isa Khel auf unser Feldlager. Bisher ein definierter Einschlag – 300 Meter entfernt von der Hindenburg.«
Wenig später ist die Meldung auch im Internet:
AFGHANISTAN: RAKETENANGRIFF
AUF DAS DEUTSCHE FELDLAGER IN KUNDUZ
Am 9. September wurde gegen 21.25 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit (23.55 Uhr Ortszeit) mindestens eine Rakete auf das deutsche Feldlager abgefeuert. Das Geschoss schlug zirka 500 Meter vor dem Lager ein.
Als die Raketen in der Nacht neben dem Feldlager einschlugen, haben die Soldaten und ich tief geschlafen. Wir haben nichts mitbekommen, obwohl unsere Unterkunft am Rande des Lagers und damit von allen Unterkünften am nächsten zur Hindenburg liegt.
Isensee gibt seinen Soldaten den Befehl, sich fertig zu machen. Am Nachmittag geht es in Richtung Polizeihauptquartier, zur Befehlsausgabe. Geplant ist eine Operation als Reaktion auf den Beschuss des Feldlagers. »Dann weiß ich vielleicht auch schon mehr zu den Details.«
Während wir uns fertig machen, frage ich Chill, wie ihm bei der Neuigkeit zumute war: »Da ist der Puls doch hochgefahren, so richtig. Aber ansonsten – wir sind Soldaten. Ich bin jetzt schon fast fünf Jahre dabei, und wir sind geübt, stumpf zu sein …«
Die Jungs von Foxtrott 4 tragen ihre Rucksäcke und Waffen zum Dingo.
»… und sobald die Situation wieder weg ist, ist man dann auch gleich wieder gelassener.«
Auf dem Ehrenhain lässt Isensee die Marschbereitschaft abfragen. Dann rollt der Foxtrott-Zug aus dem Feldlager. Die Fahrt ins Polizeihauptquartier wird langsam zur Routine.
Während wir durch die ärmlichen Straßen von Kunduz-Stadt rollen, erzählt Schröder: »Meine Eltern haben mir gerade erst wieder geschrieben. Da stand auch drin, dass sie die ganze Zeit nervlich angespannt sind. Das kriegt man hier vielleicht gar nicht so mit. Das versuchen sie auch am Telefon nicht so rüberzubringen …«
Die üblichen Felder ziehen an uns vorbei, die üblichen Kinder winken – und am Wegesrand lungern die üblichen Verdächtigen herum. Es sind aber wohl nur untätige junge Männer. Juwe Schröder fährt fort: »… damit ich mir hier keinen Kopf über zu Hause machen muss. Meine Frau versucht immer, am Telefon stark zu sein, aber ich kenne sie jetzt seit über zehn Jahren und merk natürlich, dass die Anspannung bei ihr schon ganz schön groß ist.«
Im Polizeihauptquartier wird die Ausrüstung abgeladen, die Soldaten beziehen ihre Stuben. Nicht so bequem wie im Feldlager, aber besser als auf der Höhe 432. Unsere Ansprüche haben sich im Lauf der Zeit stark nach unten verschoben.
Polizeihauptquartier, Befehlsausgabe Foxtrott-Zug
Bis Isensee seinen Zug zur Befehlsausgabe zusammen hat, ist es später Abend. »So«, sagt Isensee entschlossen, »ich fang jetzt mal an, mit dem Anspruch auf absolute Unvollständigkeit …«
Eng zusammengerückt sitzen Schröder und die anderen Gruppenführer des Foxtrott-Zuges auf der Stube des Zugführers. Es geht um die Reaktion auf den Raketenangriff auf das Feldlager.
»… weil ich euch ins Bett kriegen will. Es geht morgen sehr früh los.«
Schröder sieht die ausgeteilten Unterlagen zur Operation durch – Kartenmaterial, Funkfrequenzen, Meldepunkt, Marschreihenfolge. Kompaniechef Schellenberger und Zugführer Isensee wollen in Isa Khel möglichst wenig dem Zufall überlassen.
Isensee weiter: »Das Ganze läuft unter der Überschrift: Wir nehmen Isa Khel. Zur Feindlage: Es gibt derzeit keine neuen Erkenntnisse. Wir wissen, dass die Typen da die Raketen abschießen …«
Die Soldaten schreiben mit, prüfen Koordinaten auf ihren Handkarten. Schröder tippt die Daten in sein
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