Fränkisch Schafkopf
los.
»Sie sind bestimmt gekommen, um mir persönlich zu sagen, wie es um Heinrich bestellt ist. Das will ich mir aber in Ruhe anhören, dafür will ich mir Zeit lassen. Also setzen Sie sich doch erst mal«, kommandierte sie, »ich mach uns einen Kamillentee. Den haben Sie das letzte Mal ja auch so gern getrunken.« Dann federte sie leichtfüÃig und beschwingt aus dem Raum.
Paula war das nur recht. Wobei es nicht der Kamillentee war, der sie zum gemütlichen Beisammensein einlud. Sondern schon eher die Vorstellung, sie würde jetzt mit der einzigen Person sprechen, die eine Beteiligung Heinrichs an diesem Mord genau wie sie kategorisch ausschloss.
Während sie das Klappern von Geschirr und das kurze Entzünden des Gasherds aus der Küche hörte, lieà sie ihren Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Nein, hier hatte sich seit ihrem letzten Besuch, an den sie sich noch gut erinnern konnte, nichts verändert. Lediglich eine Postkarte war hinzugekommen. Sie stand in dem dunkelbraunen Büfett aus glänzendem Nussbaumholz, dem wuchtigen Pendant zu dem riesigen Esstisch, hinter Glas, vor einer Reihe von CD s. Da sie ihre Brille nicht aufsetzen wollte, stand sie auf und betrachtete die Karte, die einen langen Sandstrand mit tiefblauem Meer zeigte, aus der Nähe.
Frau Bartels, die nun mit einem Tablett in den Händen den Raum betrat, sagte zu ihr: »Gell, das ist doch eine wunderschöne Karte. So ein herrliches Wetter, so ein schöner Strand. Die hat mir der Heinrich geschickt, aus seinem Urlaub. Sie wissen ja, er war Anfang dieses Jahres in Thailand.«
Nein, das wusste sie nicht. Und sie konnte es auch nicht recht glauben. Ihren verwunderten Blick deutete Anna Bartels jedoch falsch, denn sie nickte ihr aufmunternd zu, während sie Teller und Unterteller, Löffel und Tassen auf dem Tisch verteilte.
»Nehmen Sie die Karte nur heraus, Sie dürfen sie gerne lesen.«
Doch Paula Steiner, die hemmungslos und immer wieder mit groÃem Vergnügen auch in den intimsten Privatsachen ihrer Opfer wühlte, widerstrebte es, die Post ihres Kollegen zu lesen, und schüttelte verneinend den Kopf. Zumal sie ahnte, dass er damit ganz und gar nicht einverstanden gewesen wäre. Auch deswegen, weil er schon allein die Tatsache selbst, dass er in Thailand gewesen war, ihr gegenüber verheimlicht hatte.
»Danke, aber ich sehe es ja auch so: Das muss wirklich ein Traumurlaub gewesen sein.«
Als sie sich wieder an den Tisch setzte, erschien Frau Bartels mit der Teekanne. Nachdem sie die hellgelbe Flüssigkeit in die Tassen gefüllt und ihr die Zuckerdose rübergeschoben hatte, fragte sie: »So, jetzt erzählen Sie mal, wie es Heinrich geht. Ich weià nämlich gar nichts, nur dass er im Krankenhaus liegt und es wohl nicht so schlimm ist, wie es anfangs ausgesehen hat.«
Statt einer Antwort stellte Paula eine Gegenfrage, um Zeit zu gewinnen. »Von wem haben Sie es denn erfahren, das mit dem Krankenhaus?«
»Na, von der Zentrale des Präsidiums«, sagte Heinrichs GroÃmutter.
»Dann hat man Sie also angerufen?«
»Nein, ich hab bei denen angerufen. Nachdem Heinrich am Samstagabend nicht heimgekehrt ist und Sonntagfrüh immer noch nicht da war, habe ich gedacht, ihm sei was passiert. Weil, sonst ruft er, wenn er mal länger ausbleibt, von unterwegs mit dem Handy an und gibt mir Bescheid, damit ich mir keine Sorgen mach. Aber diesmal hatte er sich nicht gemeldet. Da war ich dann schon beunruhigt, sehr beunruhigt. Aber der Mann von der Zentrale hat gesagt, ich soll mir keine Sorgen machen, Heinrich ist da in eine Situation hineingeraten und hat ein paar Prellungen abbekommen. Und dann haben sie ihn sicherheitshalber, also zur reinen Beobachtung, ins Krankenhaus gefahren.«
Diesen Mann von der Zentrale kannte sie â das war Matthias Breitkopf vom KDD , der, soviel sie wusste, am Ostersonntag Dienst gehabt hatte. Nur Breitkopf traute sie diese rücksichtsvolle Unaufrichtigkeit zu, Heinrichs alter GroÃmutter die Wahrheit zu verschweigen und ihr stattdessen dieses Lügengespinst von den »paar Prellungen« und der »reinen Beobachtung« aufzutischen.
Nach einer kleinen Pause fügte Anna Bartels, jetzt schon nachdenklicher und mit aufkeimendem Vorwurf in der Stimme, hinzu: »Aber bis jetzt hat er immer noch nicht angerufen. Wo er doch bloà ein paar Schürfwunden oder so was hat ⦠Da kann man
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