Fränkisch Schafkopf
jederzeit beendet werden. Das ist ja der Vorteil gegenüber dem natürlichen Koma. Du musst dir das vorstellen wie einen â¦Â«
»Heilschlaf«, fiel sie ihm ins Wort. »Ja, das sagtest du bereits.«
»Ja, das auch. Aber auch wie eine Art Medikamentenschlaf. Heinrich schläft, weil man ihm Schlafmittel verabreicht. Und wenn man die peu à peu reduziert, dann wacht er wieder auf. Zuverlässig.«
»So, aha.«
Frieder schien ihre Restzweifel zu spüren. »Ich würde es dir sagen, wenn es anders wäre. Das einzige Problem, das er eventuell haben wird, ist, dass er sich vorübergehend an nichts erinnern kann. Und ein Tatzeuge wäre ja in dem Fall für dich auch wichtig, oder?«
»Natürlich, das wäre ideal.«
»Wenn es so ist, wie ich befürchte, musst du halt nach Dingen suchen, die ihm bekannt vorkommen. Das können ganz banale Sachen sein. Ein kleiner Schnipsel kann in so einem Fall eine ganze Welle der Erinnerung in Gang setzen. Mehr oder Genaueres kann ich dir dazu leider nicht sagen, weil das bei jedem anders gelagert ist. Da gibtâs kein Passepartout.« Damit verabschiedete er sich.
Ein kleiner Schnipsel? Und wo sollte sie den finden? Sie wunderte sich noch, dass sie von Heinrich, immerhin der Mensch, den sie von allen Kollegen am meisten schätzte, privat so wenig wusste. Sie kannte weder seine Freunde, Bekannten oder gar eine Freundin, sofern es eine gab, noch seine Vorgeschichte, musste sie sich eingestehen. Sie wusste lediglich, dass er in ihren Augen zu viel Geld für seine Stereoanlage ausgab und vorzugsweise Wagner hörte. Hatte sie so wenig Interesse an ihm? Nein, nein, bestimmt nicht. Oder doch? Was sie aber noch mehr verwunderte, war, dass sie im Moment auch nicht die leiseste Ahnung hatte, wen sie fragen könnte, um mehr von dieser seiner privaten Seite zu erfahren.
Auf einmal war ihr Elan, der sie den Vormittag über auf Trab gehalten hatte, verflogen. Sie wusste schlicht nicht, was sie nun tun sollte. In ihr Büro zurückkehren und mit der Recherchearbeit, der Akteneinsicht, beginnen? Dazu hatte sie keine Lust. Zumal Eva Brunner, davon war sie überzeugt, sich derzeit noch darum kümmern würde, alle erforderlichen Unterlagen zusammenzutragen. Sie sollte also besser noch ein wenig warten, bis sie sicher sein konnte, dass die Kollegin jeden ihrer Aufträge abgearbeitet haben würde.
Sie startete den Motor und lenkte den Wagen Richtung Süden. Ãber eine Stunde brauchte sie, bis sie endlich nahe dem Budapester Platz einen halbwegs legalen Parkplatz gefunden hatte. Sie hatte sich entschieden, dem für Heinrich wichtigsten Menschen, die Person, die ihm am nächsten stand, einen Besuch abzustatten â seiner neunundachtzigjährigen GroÃmutter.
Sie überquerte den Platz und blieb dann vor dem alten Sandsteinhaus aus der Gründerzeit stehen, klingelte, wartete einen Augenblick, klingelte wieder, wartete und klingelte ein drittes Mal. Eine gute Minute nach dem letzten Klingeln sprang endlich die Haustür auf.
Als sie die Stufen hinaufstieg, hörte sie Anna Bartels mit ihrer knarzenden, dabei erstaunlich jugendlichen Stimme von oben fragen: »Hallo, wer ist denn da?«
»Ich bin es, Frau Bartels, Paula Steiner«, rief sie so laut zurück, dass ihr Name im ganzen Haus ertönte.
Die alte Frau erwartete sie vor ihrer Wohnungstür. Als Paula ihr gegenüberstand, konnte sie in ihrem Gesicht eine Abfolge widerstreitender Gefühle lesen. Zuerst kam das Erkennen und mit ihm ein breites Lächeln, dann der Anflug von Sorge, dass ihrem einzigen, ihrem geliebten Enkel etwas Schlimmes passiert sein könnte, worauf das Lächeln erstarb, und schlieÃlich blitzte die Hoffnung darin auf. Heinrichs Chefin würde, hätte sie ihr etwas Furchtbares mitzuteilen, doch dann sicher nicht so freundlich und harmlos dreinschauen. Die Züge des kleinen Gesichts voller Falten und Runzeln glätteten sich und zeigten wieder das anfängliche breite Lächeln, untermalt mit Wiedersehensfreude.
»Kommen Sie, Frau Steiner, kommen Sie herein«, drängte Frau Bartels, nahm Paula an der Hand und zog sie in die kleine Wohnung mit den drei winzigen Zimmern, die umso winziger wirkten, als alle mit schweren wuchtigen Möbeln vollgestellt waren.
Im Wohnzimmer, vor dem riesigen Nussholztisch mit seinen vier Stühlen, blieb Anna Bartels stehen und lieà die Kommissarin endlich
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