Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
ausländische Sender hören. Eines Tages meinte sie, in der Schule von Guofeng gebe es eine Lehrerin, eine Frau mit Namen Ding Zilin, die zur Zeit in aller Öffentlichkeit Kontakt auch zu den Familien anderer Opfer aufnehme, um gemeinsam für die Opfer vom 4 . Juni Gerechtigkeit zu fordern.
Damals hatten beide Seiten noch keine exakte Form der Nachrichtenübermittlung. Aber nach so vielen Jahren haben sie dann auf einem Freundschaftstreffen, an dem auch Lehrer Jiang Peikun teilnahm, aus dem Mund eines Landsmannes aus Xinjin von der Familie von Wu Guofeng erfahren. Dann kam ein Brief, der die Lage sondierte, die Adresse stimmte nicht genau, und auch der Name war falsch geschrieben. Ein Glück, dass der Himmel ein Auge darauf hatte! Ich habe einen Bekannten, der auf dem Post- und Telegrafenamt arbeitet, und ich habe den Brief tatsächlich bekommen – »den Seinen gibt’s der Himmel im Schlaf«, das kann man wirklich sagen, besser konnte es nicht kommen! Frau Lehrer Ding hat später gesagt, sie habe uns ganze acht Jahre gesucht.
LIAO YIWU:
Weiß Frau Ding, wie es Ihnen zur Zeit geht?
WU DINGFU:
Wir sind im Augenblick sehr arm, wir haben im Monat nur ein-, zweihundert Yuan Krankenrente zum Leben, damit müssen wir noch unsere Enkelin durchschleppen und ihr Bücher beschaffen – denn sie ist jetzt die allerletzte Hoffnung der Familie Wu, sie ist die einzige Nachkommin von zwei Söhnen. Aber auch wenn das so ist, dürfen Sie ihr nicht davon erzählen und sie damit belästigen! Was liegt daran, wenn wir untergehen, aber sie darf das nicht! Das Massaker vom 4 . Juni ist jetzt sechzehn Jahre her, früher oder später wird es darüber eine Diskussion geben, auch wenn wir das nicht mehr erleben werden. Aber die Kommunistische Partei darf nicht weiter ihre Blutschuld abstreiten und Li Peng so billig davonkommen lassen, den Hurensohn, den elenden.
Die Falun-Gong-Anhängerin
Am 6 . Dezember 2004 um die Mittagszeit, ich war gerade aufgestanden, hatte mich gewaschen, mir den Mund ausgespült, als ich plötzlich ein leises Klopfen vernahm. Ich zögerte ein paar Sekunden und drückte dann das linke Auge gegen den Spion, aber draußen tauchten nur die Gesichter von zwei Bauersfrauen auf, die ich nicht kannte. Ach so, ja, Bettler! Ich seufzte, griff mir hastig die Brieftasche und zog einen Fünf-Yuan-Schein heraus, und in meinem Kopf leuchteten die Bilder von den Bettlern früher auf, die am Jahresende die alten Balladen sangen – Jahr für Jahr in aller Herrgottsfrühe standen auf einmal fünf Männer und Frauen aus Henan vor der Tür meiner Eltern, die redeten und »Im neuen Jahr nur Glück und Segen, Wohlstand und ein langes Leben« sangen, sie machten ein solches Spektakel, dass man ihnen schlecht nichts geben konnte.
Ich öffnete mit der rechten Hand die Tür, mit der linken reichte ich die fünf Yuan hinaus, aber niemand nahm sie mir ab, also hob ich den Kopf. Die Kleidung der beiden Frauen war abgetragen, aber auffällig schlicht und sauber. Sie schauten mich gleichmütig an, aber in ihren Blicken lag nicht die gewohnte Verschrecktheit und Einschmeichelei. Nachdem sie mein Geld mehrfach zurückgewiesen hatten, ließ ich die Hand mit dem Geld verlegen sinken, und sie sagten leise: »Wir sind Falun Gong.«
Es war eher ein Flüstern, aber in meinem Kopf tat es augenblicklich einen lauten Knall. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich der Nebel vor meinem Gesicht verzog. Aber sie waren ständig auf der Hut und pressten die schwarzen Plastiktaschen, die sie schräg über der Schulter trugen, an sich.
Ich zögerte etwas, dann ließ ich geschehen, was geschehen wollte, und bat sie herein. Ich spürte, wie mir das Herz stürmisch in der Brust schlug – was bewies, dass ich nicht aus dem Holz gemacht war, aus dem man Helden macht, und dass nicht einmal im Traum daran zu denken war, dass ich das Sprachrohr für die unteren Schichten des Volkes werden würde – wie vor ein paar Jahren, als ich diese Kassette über »Das große Massaker«, die viel Unheil anrichtete, nicht hätte aufnehmen sollen. Ich hatte fürchterliche Angst.
Die beiden Frauen mit ihrem schneeweißen Haar kamen aus einer ganz anderen Welt. Bevor ich die Tür geöffnet und ihnen den Fünf-Yuan-Schein hingehalten hatte, hatte ihr Leben mit dem meinen nicht das Geringste zu tun, so wenig wie mit dem Leben der Mehrzahl der Intellektuellen. Ich suchte ein paar Bögen Papier heraus und beherrschte das Zittern meiner Hände und Beine. Als ich
Weitere Kostenlose Bücher