Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
eintausend Yuan brauchte, um »historische Aufnahmen« zu machen. Seit dem Hinscheiden von Hu Yaobang hatte er mit einer brandneuen Markenkamera Hunderte von Photos von den Studentenunruhen gemacht. Ein Stapel davon lag unter seinem Kopfkissen. Als wir sein Bett und seine Hinterlassenschaft ordneten, haben wir außer Nachschlagewerken, schmutziger Wäsche und Fotos nur eine Fünf-Fen-Münze und einen im ganzen Land gültigen Zehn-Pfund-Lebensmittelbezugsschein gefunden.
LIAO YIWU:
War Ihr Sohn damals nicht am Tiananmen?
WU DINGFU:
Nach Mitte Mai waren die Studenten aus Peking mehr oder weniger alle bereits wieder an ihre Universitäten zurückgekehrt, aber aus dem ganzen Land strömten weiter Menschen zur Unterstützung der Studentenunruhen heran und versammelten sich jeden Tag auf dem Tiananmen. Nach dem, was ein gewisser Li, ein Kommilitone von Wu Guofeng, sagt, war er damals mit meinem Sohn kaum aus dem Campus heraus, als sie sich auch schon trennten. Dieser Li traf auf eine schwarze Masse von Soldaten, die hinter ihm herschossen, kopflos bog er in eine Gasse ein und kehrte auf allen möglichen Umwegen zu seiner Universität zurück. Als er nachfragte, war über den Verbleib von Wu Guofeng nichts bekannt.
LIAO YIWU:
Wo ist das mit Ihrem Sohn passiert?
WU DINGFU:
Vermutlich in der Nähe des Xidan. (
Song Xiuling warf ein
, entlang der Chang’an seien bereits Panzer und Fußtruppen patrouilliert, es sei fotografiert, es seien Parolen gerufen und Steine geworfen worden, und da hätten sie ohne Ansehen der Person jeden auf der Stelle erschossen. Wu Guofeng habe gerade die Kamera in der Hand gehabt, als er ermordet wurde, sogar das Fahrrad hätten sie plattgewalzt. Als die Schlächter weitergerückt waren, hätten die Leute ihn aufgehoben und ins Postkrankenhaus gebracht.)
Schauen Sie sich diese Fotos an, mein Lieber, wir haben wieder und wieder verlangt, dass man die sterblichen Überreste Guofengs in seine alte Heimat nach Sichuan schafft, aber von dem Institut hieß es, das gehe nicht, angeblich eine Anordnung des Zentralkomitees, sämtliche Ermordeten sollten verbrannt werden. Da sagten wir, Wu Guofeng hat auch noch Großeltern und Geschwister, wenn sie uns schon nicht erlauben würden, seine sterblichen Überreste zurückzubringen, damit sie von ihm Abschied nehmen können, dann müssten sie uns zumindest erlauben, stattdessen ein paar Fotos zu machen. Das Institut hat darüber beraten, die Antwort war, das sei möglich, aber wir müssten das unbedingt geheim halten und wir dürften damit nicht das Ansehen des Staates beschädigen. (
Song Xiuling warf ein:
Sehen Sie, hier ist alles voller Blut. Der Einschuss in der linken Brust war tödlich, ich kenne mich mit Wunden aus, das war ein Schuss aus nächster Nähe. Außerdem gibt es Einschüsse an den Schultern, den Rippen, den Armen. Schauen Sie hier, am Unterleib, da ist ein Bajonett hineingestoßen und dann nach unten gezogen worden. Diese Berufsmörder haben mit aller Brutalität gewütet, sonst wäre diese Wunde nicht sieben, acht Zentimeter lang und die Gedärme wären nicht in Stücke gerissen. Ein Arzt, der seinen Namen nicht nennen wollte, hat diagnostiziert, dass Wu Guofeng die Kugeln, die ihn getroffen haben, womöglich nicht umgebracht hätten, deshalb hat der Mörder ein Bajonett genommen. An beiden Handflächen hat Wu Guofeng tiefe Schnittwunden, bestimmt hat er verzweifelt gekämpft und sich die Schnitte zugezogen, als er instinktiv versuchte, das Bajonett festzuhalten.)
LIAO YIWU:
Ich habe gehört, medizinische Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Pupille von Ermordeten wie eine Kamera wirkt und dass sie im Augenblick des Todes das Konterfei des Mörders aufnehmen. Wenn Wu Guofeng in dem Augenblick, als er das Bajonett umklammert hielt, die Augen aufhatte, dann …
WU DINGFU:
Der Junge hatte selbst im Tode noch die Augen offen.
LIAO YIWU:
Verzeihen Sie, dass ich den Mund nicht halten konnte, erzählen Sie bitte weiter!
WU DINGFU:
Als wir in Peking waren, hat die Schulverwaltung vier ihrer Studenten geschickt, die uns begleiten und uns abwechselnd Trost zusprechen sollten. Am 12 . Juni sind wir dann ins Krankenhaus, um uns um seine sterblichen Überreste zu kümmern. Zunächst wurde er von entsprechendem Personal vom Blut gereinigt und dann wurde ihm andere Kleidung angezogen. Wie es bei uns zu Hause Sitte ist, haben wir Wu Guofeng in ein weißes Tuch gehüllt, das wir mitgebracht hatten.
LIAO YIWU:
Was hat es damit auf
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