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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Träume geplatzt, alles war vorbei. Ich dachte an meine irrsinnig gewordene Mutter, wie sie da auf der Schwelle sitzt, und als guter Sohn hätte ich mich eigentlich um sie kümmern müssen, aber ich konnte mir ja selbst kaum helfen. Das Fundament für das neue Haus steht noch, wer hätte denn ahnen können, dass ein Goldschatz einen ruinieren kann! Ich fing an zu weinen, vor dem Anwalt, und wischte mir unentwegt die Tränen weg, aber es kamen immer neue.
    LIAO YIWU:
    Was hat der Anwalt gesagt?
    TIAN ZHIGUANG:
    Er hat sehr viel Mitleid mit mir gehabt, aber er meinte, es gäbe keine Möglichkeit, das Amt für Öffentliche Sicherheit und das Untersuchungsgefängnis zu verklagen, weil wir keine Beweise vorbringen könnten, dass sie mich misshandelt haben.
    LIAO YIWU:
    Aber du selbst bist doch Beweis genug!
    TIAN ZHIGUANG:
    Aber an den Verletzungen steht nicht dran, dass das die Regierung war. Ich konnte mich auch nicht beruhigen und wollte trotzdem klagen, aber das Gericht hat die Klage nicht angenommen. Danach bin ich von Vorzimmer zu Vorzimmer gelaufen und habe geklagt und von diesen Menschenfressern im Amt für Öffentliche Ordnung und im Untersuchungsgefängnis für mich und meinen Bruder eine Entschädigung von zweihunderttausend Yuan verlangt [113] – Anklagepunkte sind Schädigung durch Rufmord und Erpressung von Geständnissen durch Folter; des Weiteren Aufhetzung von Gefangenen gegeneinander, was diese Institutionen der Kommunistischen Partei zur Hölle auf Erden macht; dann, dass in den Regionen pausenlos ungerechte, gefälschte und falsche Anklagen erhoben werden, während gleichzeitig das Zentralkomitee unentwegt aus den gleichen Gründen Rehabilitierungen ausspricht, und schließlich: Was ist mit dem Verbleib des Goldschatzes? Ist das dem Volk offengelegt worden? Wenn das nicht geschehen ist, dann besteht der schwere Verdacht, dass die zuständigen Leute ihn sich unter den Nagel gerissen haben.
    LIAO YIWU:
    Du gehst aber noch immer sehr strategisch vor!
    TIAN ZHIGUANG:
    Während ich so von Wang zu Pang gerannt bin, habe ich viel gelernt. Seit neun Jahren regt mich am meisten auf, dass man den Fall nirgends verhandeln will, die Partei ist kalt und ohne jedes Gefühl.

Der Ausbrecherkönig
    1991 , am siebten Tag nach Chinesisch Neujahr besuchte ich mit einem befreundeten Anwalt den berühmtberüchtigten Meisterdieb Cui Zhixiong in einem Untersuchungsgefängnis in Chongqing. Damals waren seit der Überprüfung seines Todesurteils durch die höheren Instanzen bereits 45 Tage vergangen. »Noch mal ein Neujahrsfest geschenkt!«, sagte er.
    Dieser Cui war 39  Jahre alt, er hatte buschige Augenbrauen und große Augen, war stark wie ein Bär, und selbst an sehr kalten Tagen trug er nur leichte Kleidung. Er hatte nichts von der Müdigkeit der meisten Todeskandidaten, vielmehr erinnerte er an einen Spähtruppführer in einem chinesischen Film. Er schleppte schwere Fußfesseln mit sich herum, und er hatte ein angeborenes Talent, er durchschaute Safes genauso schnell wie Menschen.
    Auf seine Fluchtgeschichte stieß ich ganz zufällig.
    Als ich einige Jahre später seine Erinnerungen ordnete, war von Cui längst nichts mehr übrig als ein Haufen Knochen. In meine Handflächen aber trat noch immer der kalte Schweiß, so sehr schauderte es mich. Himmel, war das alles wirklich passiert? Ob Cui, dieser Verbrecher, auch noch an der Höllenpforte versuchte, dem Gefängnis zu entkommen?
    ***
    LIAO YIWU:
    Sie rauchen nicht? Das ist selten, nur wenige Gefängnisinsassen rauchen nicht.
    CUI ZHIXIONG:
    Die Knastvorschriften erlauben das Rauchen nicht.
    LIAO YIWU:
    Als ob ein Mensch so veranlagt wäre, sich ohne Not an Gefängnisvorschriften zu halten, wo wir noch dazu außerhalb der Zellen sind. Entspannen Sie sich ein wenig.
    CUI ZHIXIONG:
    Die Würde des Menschen ist wichtiger als seine Veranlagung. Dass viele Kriminelle von den Menschen verachtet werden, liegt nicht an ihren Vergehen, sondern daran, dass sie mit sich selbst zu nachgiebig sind und dadurch ihren letzten Rest von Würde verlieren.
    Wer wollte im Knast nicht rauchen? Auch ohne süchtig zu sein, möchte man rauchen, vor allem ich, ich warte hier, für himmelschreiende Verbrechen verurteilt, nur noch auf den Tod. Aber, schon ein Glimmstengel macht dich möglicherweise zu weniger als einem Hund. Fast alle Häftlinge sammeln Zigarettenkippen, kommen sie zum Verhör raus, schauen sie hierhin, dorthin, im Gang, die Treppe runter, sogar aus den Spucknäpfen klauben sie

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