Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Gefängnis war!
Insgesamt war ich zweimal auf dem Klo, dann stand mein Plan. Ich konnte nicht zu oft dorthin schleichen, sonst hätte ich womöglich Verdacht erregt. Das Klo hatte nur ein Belüftungsfenster, dahinter war eine große Mauer. Man konnte zu Recht sagen, oben hinaus gab es keinen Ausgang.
Aber unten herum konnte es gehen. Ich zögerte zuerst noch, weil ich mir nicht darüber im klaren war, wo die Scheiße rauskam – das hier war ein altes, in seinem ursprünglichen Zustand belassenes Gefängnis, es war nicht möglich, moderne Maschinen einzusetzen, um die Scheiße rauszuholen. Gab es also eine Grubenöffnung innerhalb oder außerhalb des Gefängnisses? Gab es einen Deckel über der Scheißgrube? Wie schwer war der Deckel? War Maschendraht gespannt?
Eine Woche vor meiner Aktion kam ich noch mal ins Wanken. Beim kollektiven Bad entdeckte ich nämlich durch das Fenster über einem Duschkopf zwischen der Felswand und der Mauer einen schmalen Spalt, genau im toten Winkel der Wächter. Kurz danach hörte ich, wie nebenan eine Katze eine Maus fing. Wo eine Katze durchkam, war ich überzeugt, würde ich, wenn ich mich ganz dünn machte, ebenfalls durchkommen – darüber wurde ich für eine Weile ganz aufgeregt. Allerdings hätten wir dafür zu dritt abhauen müssen, und zuerst hätte ich den Oberganoven, der hier das Sagen hatte, überzeugen müssen, denn wenn die Leute von der Verwaltung mit dem Bad fertig waren, hatte er das Vorrecht, als Erster ins Bad zu gehen. Dann hätte einer an der Türe Schmiere stehen und zwei hätten sich aufeinanderstellen müssen, um das bewegliche Wasserrohr herausdrehen und das Fenstergitter aufwuchten zu können.
LIAO YIWU:
Ziemlich riskant.
CUI ZHIXIONG:
Genau, drei Menschen, drei Meinungen, das ist schlimmer als Gefängnis. Ich war verdammt dazu, ins Klo zu schleichen. Als ich zum dritten Mal über der Grube hockte, kam mir schließlich der Zufall zu Hilfe: Ich hörte undeutlich, wie jemand unsere Jauche herausschöpfte! Ich achtete genau auf den Dialekt, es waren definitiv Bauern aus der Gegend. Mir schoss das Blut in den Kopf, dass der mir eine halbe Ewigkeit summte. Mann, ich hatte es geschafft, ich wusste, ich würde mit dem Leben davonkommen.
Das Nächste war nun, mir Zeitpunkt, Wegstrecke und Ablauf zu überlegen. Der Hofgang dauerte fünfzehn Minuten, minus die Zeit fürs Ausleeren der sechs Klokübel, blieben zehn Minuten; dazu drei Minuten für den Appell beim Einschließen. Wenn entdeckt war, dass jemand fehlt, noch mal sechs Minuten für die Nachforschungen und bis die Polizei versammelt war, um einen Suchtrupp zu bilden; weitere zwei Minuten für Aufteilung und Aufbruch; und auf dem Weg ein Zeitabstand von neun Minuten zwischen Flucht und Verfolgung. Anders gesagt, ich musste es in einer halben Stunde den Berg hinunterschaffen und irgendwo untertauchen, wo viele Menschen waren.
LIAO YIWU:
Man bekommt das Gefühl, in einem Film zu sein.
CUI ZHIXIONG:
Ein Film ist ein Furz dagegen. Ich erinnerte mich noch, als ich verhaftet wurde, brauchte der Gefangenenwagen zwanzig Minuten, um vom Friedhof für Märtyrer unten am Berg über die Serpentinen hinaufzukommen. Wenn ich den Hang in gerader Linie hinunterlief, schätzte ich, könnte ich etwa genauso schnell sein wie das Auto bergauf. Selbst wenn ich mich also bei der Klogrube und beim Gefängnis noch acht Minuten aufhielt, war das immer noch eine sichere Sache. Neben dem Gefängnis gab es eine technische Schule, oft war das laute Lesen von Büchern bis zu uns herüber zu hören. Dort würde der Suchtrupp schwerpunktmäßig ein Netz ziehen. Sie würden annehmen, ich könnte nicht weit gekommen sein, und außerdem vermuten, ich würde Menschen aus dem Weg gehen und mich in den Bergen verstecken.
LIAO YIWU:
Das stimmt sicher. Was hätten Sie gemacht, wenn Sie auf einen Wanderer getroffen wären?
CUI ZHIXIONG:
Wenn du direkt auf ihn zustürmst, bekommt er Angst vor dir. Ich hatte den Ausbruch im Kopf schon zigmal durchgespielt, sogar im Traum war ich ständig auf der Flucht, bis ich Wadenkrämpfe bekam und aufwachte. Die Sache lief dann absolut glatt. Ich erinnere mich, es war am 6 . Mai 1990 , drei Tage vor meinem dreißigsten Geburtstag. Nach Mittag stopfte ich Hemd, Shorts, Stoffschuhe und ein Handtuch in eine Plastiktüte und band sie mir um die Taille, darüber zog ich einen Arbeitsanzug. Als zum Hofgang gepfiffen wurde, drängte ich mit dem Menschenstrom in den Gang, zwei Minuten später stürmten wir
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