Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
nach Jahrzehnten wirken sie noch stabiler als die modernen Gefängnisse. Auf der Rückseite war gleich eine Felswand, auf den vier Ecken der mit Stahl bewehrten hohen Mauer waren Wachpavillons errichtet, die wie innen ausgehöhlte große Dampfbrötchen aussahen. Um einen rechteckigen Hof herum, in dem wir Hofgang hatten, das Essen bekamen und Vollversammlungen abhielten, befand sich der auf zwei Stockwerke verteilte Gefängnistrakt.
Ein Auto hat mich über Serpentinen hinauf zum Haupttor gebracht. Ging man von dort hinein, kam man in einen kleinen Hof, und erst nach einer Leibesvisitation konnte man das Erdgeschoss des eigentlichen Gefängnisgebäudes betreten. Dort lagen der Verhörraum, die Gemeinschaftsküche, der gemeinschaftliche Waschraum, ein Lagerraum und das Klo. Im ersten Stock befanden sich die Gefängniszellen der Häftlinge für insgesamt sechzehn Gruppen, eine davon Frauen.
Natürlich war auch der Dienstraum für Sicherheitskader und Polizei im zweiten Stock, auf der Südseite. Ein Rundgang verlief mitten durch den Gefängnistrakt und war so stockdunkel, dass selbst tagsüber die Deckenbeleuchtung an war. In der Zelle, in der ich eingesperrt war, zeigte ein Oberlichtfenster nach draußen, wenn ich dort hochsprang, konnte ich mich am Fenstergitter festhalten und mit einem Klimmzug draußen den Hang mit dem Kiefernwald sehen, in dem Agenten der Guomindang Leute von General Yang Hucheng ermordet hatten.
LIAO YIWU:
Sie sind mit den örtlichen Gegebenheiten ganz gut vertraut.
CUI ZHIXIONG:
Ein fähiger Gelehrter vergisst Bücher, die er einmal gelesen hat, nicht mehr, ich bin ein fähiger Dieb, ich vergesse Umgebungen, in denen ich einmal gewesen bin, nicht mehr. Außerdem war ich über zwei Monate in dem Untersuchungsgefängnis, jeder Ziegelstein und jeder Grashalm dort ist mir schnell in Fleisch und Blut übergegangen. Es hieß, aus diesem Knast sei noch nie jemand abgehauen, nur ein Geist könne darauf hoffen. Aber selbst Steine haben Ritzen. Bei meinen Brüchen bin ich an so vielen verschlossenen Orten rein- und wieder rausgekommen. Wer sollte mich da aufhalten?
Das größte Problem waren die anderen, wir waren alle zusammengepfercht. Niemand, der an Abhauen dachte, konnte vor aller Augen verschwinden, da konnte er noch so gut sein.
Im ersten Monat wurde ich jeden Tag verhört und dachte nicht mehr weiter darüber nach. Irgendwann habe ich dann ein wenig was ausgespuckt, und als der Verantwortliche diese ersten Resultate hatte, sollten seine Leute das Material untersuchen, um den nächsten strategischen Schritt meiner psychologischen und ideologischen Behandlung festzulegen. Das Verhör wurde für einige Zeit ausgesetzt.
LIAO YIWU:
Kommt man in ein Untersuchungsgefängnis, wird man bestimmten Behandlungen unterzogen. Sind Sie nicht geschlagen worden?
CUI ZHIXIONG:
Die gewöhnlichen Neulinge waren immer willkürlichen Schikanen ausgesetzt, um sie von Beginn an einzuordnen. Dafür gab es zahllose Verfahren, da ließe sich viel drüber sagen. Ich aber galt als hochintelligenter und wichtiger Verbrecher. Der Verantwortliche suchte höchstpersönlich den Anstaltsleiter auf, damit er in meiner Gruppe darauf hinwies, dass mir »Behandlungen« zu ersparen seien.
Die Verhöre waren kaum ausgesetzt, schon zerbrach ich mir unwillkürlich den Kopf, wie ich mich von den anderen absetzen konnte. Wir hatten alles gemeinsam zu machen, vom Essen abgesehen durften wir am Vormittag und am Nachmittag je einmal raus, immer eine Viertelstunde. Im Hof waren dann über einhundert Häftlinge, und außerdem wurden wir auf allen Seiten von oben überwacht. Wollte man sich den zahllosen Augenpaaren entziehen, blieb nur das Klo. Das Klo war gegenüber der Waschraumtür, es war dunkel, und der Gestank stieg einem in die Nase, gerade richtig, um mich dort abzusondern.
LIAO YIWU:
Hockten keine anderen Häftlinge über der Grube?
CUI ZHIXIONG:
In den Zellen gab es große Klokübel, einen halben Mann hoch, im allgemeinen verrichteten die Leute ihr Geschäft da hinein. Zum Hofgang gingen dann zwei Kübelaffen voraus und leerten sie. Die rund hundert Leute strömten also nicht alle auf einmal in den Hof, um schnell ihre Wäsche zu waschen, sondern um in weiter Ferne grüne Berge und weiße Wolken zu sehen und frische Luft zu atmen. Außerdem wurden heimlich Kleinigkeiten getauscht.
Denken Sie nur, ich, der Meisterdieb, konnte tatsächlich für etwa zehn Minuten ganz allein auf dem Klo hocken, wenn das kein mustergültiges
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