Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
nicht krank war, entsprach es nicht den politischen Richtlinien der Partei, mich weiter dazubehalten. Am Ende wurde ich, wie es hieß, »im Zuge einer Überprüfung entlassen«.
    LIAO YIWU:
    Hatten Sie im Krankenhaus Kontakt mit Leprakranken?
    ZHANG ZHI’EN:
    Ich war mit ihnen jeden Tag zusammen, aber es ist nichts passiert.
    LIAO YIWU:
    Wann war das?
    ZHANG ZHI’EN:
    Ich weiß es nicht mehr. Der Vorsitzende Mao war wohl schon tot, die Plenartagung hatte ebenfalls stattgefunden. Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde und nach Hause kam, blies der Wind aus einer anderen Richtung. In der Produktionsgruppe wurde nicht mehr kollektiv gearbeitet, es wurden keine Arbeitspunkte mehr eingetragen; Grund und Boden waren vollständig auf die Familien und Haushalte verteilt worden. Weil ich aber bei der Verteilung des Ackerlandes nicht anwesend war, wurde ich einfach vergessen.
    LIAO YIWU:
    Sie hätten doch nach den politischen Richtlinien eine Ersatzzuteilung fordern können.
    ZHANG ZHI’EN:
    Nicht ein Erdklumpen war übriggeblieben, was hätte man mir zuteilen sollen? Außerdem, wenn sie mich nicht aus dem Krankenhaus entlassen hätten, wäre ich mit der Lepra am Hals auch nicht geeignet gewesen, im Rahmen des neuen Verantwortungssystems eigenverantwortlich das Land zu bebauen.
    LIAO YIWU:
    So hatten Sie über sich nicht einen Dachziegel und unter sich nicht eine Nadelbreit Grund?
    ZHANG ZHI’EN:
    Deshalb bin ich auch zur Produktionsgruppe und habe Krach geschlagen, von wegen wir seien seit Generationen arme Bauern und jetzt müsste ich mir trotzdem so eine Scheiß Ungerechtigkeit gefallen lassen. Jemand aus meinem Dorf mischte sich ein, um zu vermitteln, und meinte, ich als alleinstehender Junggeselle mit doch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel könne noch so lange herumzetern, es würde nichts bringen. Stattdessen könne er mir woanders eine Frau vorstellen.
    Ich überlegte mir nüchtern: Wenn ich zu Hause nicht mehr bleiben kann und stattdessen woanders in eine Familie einheirate, habe ich dann nicht eine Frau und Grund und Boden in einem? Ich willigte also ein. Als beide Parteien sich auf dem Markt trafen, hatte niemand etwas auszusetzen. Daraufhin lud Ehevermittler Xie mich ein, ich packte mein Bettzeug zusammen und kam in das Dorf Shimenkan, um in die neue Familie einzuheiraten.
    LIAO YIWU:
    Wusste die Braut, dass Sie in dem Leprakrankenhaus gewesen waren? War sie Ihnen gegenüber nicht abweisend?
    ZHANG ZHI’EN:
    Von dem Mann aus meinem Dorf hatte ich gehört, dass auch sie im Leprakrankenhaus im Dorf Kangle gewesen war, dann aber nichts hatte und wieder rauskam.
    LIAO YIWU:
    Was heißt, »nichts hatte und wieder rauskam«?
    DOKTOR SUN:
    Bis heute hat man auf dem Land große Angst vor der Lepra. Es brauchen nur alle den Verdacht zu haben, dass jemand sie hat, schon wird er isoliert. Er wird für eine Weile weggesperrt, und wenn dann nichts ist, wieder entlassen. Hat man hingegen wirklich Lepra, kommt man nie mehr aus dem Krankenhaus, wobei selbst unter diesen welche sind, bei denen zu Unrecht Lepra diagnostiziert wurde. Bei den Krankenvisiten auf meinen Rundreisen in dieser Gegend habe ich Leute oft behaupten hören, irgendjemand in irgendeinem Dorf habe Lepra. Wenn ich dann aber hin bin, um mir das anzusehen, war nichts. Ich habe das an Ort und Stelle allen erklärt, aber selbst wenn die etwas Gebildeteren es geglaubt haben, die Mehrzahl »ändert weiter die Farbe, sobald man etwas von Lepra hört«.
    LIAO YIWU:
    Welche Symptome hat denn Lepra?
    DOKTOR SUN:
    Die erste Reaktion ist ein Hautausschlag. Im allgemeinen juckt ein Hautausschlag und tut weh, der lepröse Hautausschlag aber juckt weder, noch tut er weh. Mit der Zeit werden die Nervenenden des Menschen zerstört, Zehen, Finger, Ohren und Nase eitern, selbst die Augenbrauen fallen aus. Bei sehr engem Kontakt kann man sich anstecken, normaler Umgang ist aber überhaupt kein Problem. Einmal habe ich im Leprakrankenhaus
Roter Fluss
operiert, einen Bruch und einen Blinddarm, mit ein wenig Schutz machte das gar nichts. Na ja, auf dem Land gibt es einfach zu viele Quacksalber, wie vielen Menschen haben die schon Schaden zugefügt!
    ZHANG ZHI’EN:
    Vor mir war meine Frau schon mit fünf anderen Männern zusammen, die alle keiner geregelten Arbeit nachgingen, sie stahlen Hühner und trieben die Schweine weg, ihr Ruf im Ort war miserabel. Erst ich bestellte ernsthaft den Boden, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen.
    LIAO YIWU:
    Das heißt also, keiner

Weitere Kostenlose Bücher