Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Kirche mit Geld und eigenem Einsatz, um diesen beiden einsamen Alten ihre Bleibe wieder herzurichten. Aus der Strohhütte wurde ein Haus mit Ziegeldach, damit sie wenigstens vor Wind und Regen geschützt waren. Außerdem redete ich immer wieder mit den Leuten der Gegend, trotzdem haben bis heute noch immer einige von ihnen Angst.
LIAO YIWU:
Wie heißen Sie?
ZHANG ZHI’EN:
Zhang Zhi’en. Ich bin im Jahr des Schafes geboren, dieses Jahr bin ich 75 . Sie heißt Tang Kaifeng, ist 77 , geboren im Jahr des Pferdes.
LIAO YIWU:
Lebt ihr beiden Alten schon immer so einsam hier?
ZHANG ZHI’EN:
Früher haben wir unten im Tal gewohnt, im Dorf Shimenkan in Tuanjie. Später sind wir dann in die Einsamkeit heraufgezogen und haben nicht mehr bei den Leuten im Dorf gewohnt. Unsere Alten von ganz früher haben allerdings auch hier gelebt. Die Gräber von zwei Generationen sind oben auf dem Hang, wir sind gar nicht weit weg von ihnen.
LIAO YIWU:
Die Gräber von zwei Generationen? Sind sie alle an Lepra gestorben?
ZHANG ZHI’EN:
Nein.
LIAO YIWU:
Die Leute im Dorf behaupten aber doch, in Ihrer Familie hatte jeder Lepra.
ZHANG ZHI’EN LACHT:
Sie sind eben gestorben.
LIAO YIWU:
Erzählen Sie bitte, wie sie gestorben sind.
ZHANG ZHI’EN:
Sie sind gestorben, weil sie gestorben sind.
LIAO YIWU:
Bitte erzählen Sie doch, wie es passiert ist.
ZHANG ZHI’EN:
Also ich, ich bin eigentlich gar nicht von hier, wo ich herkomme, habe ich eine Natter erschlagen, seither habe ich Pech …
LIAO YIWU:
Wann war das?
ZHANG ZHI’EN:
Weiß ich nicht mehr.
LIAO YIWU:
Überlegen Sie doch bitte.
ZHANG ZHI’EN:
Das war noch zur Zeit der Produktionsgruppen, der Grundbesitz war noch nicht auf die Haushalte verteilt.
LIAO YIWU:
Dann war es in den siebziger Jahren.
ZHANG ZHI’EN:
Stimmt. Damals bin ich einmal frühmorgens, noch bevor die Sonne aufgegangen war, einen Hang hinaufgeklettert, weil ich Arzneikräuter und wurzeln zum Verkaufen sammeln wollte. Während ich völlig versunken in die Suche immer weiter hinaufkam, stieß ich plötzlich auf ein Grab. Um das Grab herum wucherte hüfthoch das Gras, ich konnte keinen Weg mehr erkennen. Ich musste mich vorsichtig vorantasten, um zu fühlen, wohin ich den Fuß setzen konnte, überall waren Steine. Ich rutschte nach links und wieder nach rechts und trat mit einem Mal auf die Wurzel einer wilden Azalee.
Als ich sie vom Unkraut befreite und dabei genauer hinsah, entdeckte ich, dass die Azaleenwurzel ungewöhnlich dick war. Ich holte mit meiner Hacke aus, um sie herauszuholen, und dachte noch, auf dem Markt bekomme ich dafür einen guten Preis. Da tauchte plötzlich eine Natter auf, um die Azaleenwurzel geschlungen kroch sie hervor. Mich schauderte es am ganzen Körper, meine Hacke sauste hinunter und der Schwanz der Natter war ab. Vor Schmerz stellte sie den Kopf auf und züngelte zischend – und ich hackte weiter wie wild auf sie ein. Ich erschlug sie und kehrte mit der Azaleenwurzel auf dem Rücken nach Hause zurück.
Danach wurde mir dann das Herz schwer, ziemlich lange Zeit juckte mich die Haut, ich fror ständig; sogar im Sommer trug ich eine wattierte Jacke. Alle möglichen Arzneimittel habe ich mir gesucht, aber es wurde nicht besser.
Einmal, als ich auf dem Markt Salz kaufte, traf ich meinen Produktionsgruppenleiter. Der war ziemlich erstaunt, als er bemerkte, dass ich bei Sonnenschein fröstelte, und rief: »Was ist denn mit dir los?«
Ich antwortete, ich sei krank, und er fragte zurück, was ich denn hätte. Ich erzählte ihm, dass ich es mit einer Natter zu tun gehabt hatte.
Als der Gruppenleiter das hörte, bekam er einen Schreck: »Eine Natter kann man doch nicht erschlagen! Das sieht nicht gut aus!«
Niemals hätte ich gedacht, dass der Gruppenleiter das hinterher noch so aufbauschen würde. Er berichtete einem Arzt Wang Sowieso-an vom Leprakrankenhaus davon, der eilte daraufhin sofort zu mir, fixierte mich aus einer Entfernung von einem Meter kurz und stellte die Diagnose »Lepra«. Weil ich nicht überzeugt war, erklärte Doktor Wang: »Ihr Gesicht ist grau wie der Erdboden, da gibt es keinen Zweifel.«
Ich wurde von der Volksmiliz ins Leprakrankenhaus gebracht, in Isolation sorgfältig untersucht, und nun hieß es, ich sei nicht krank. Aber nachdem ich einmal eingewiesen war, war es nicht mehr so einfach, wieder herauszukommen. Ich wurde gezwungen, drin zu bleiben und für die Leprakranken einige Jahre zu kochen. Weil ich eigentlich aber gar
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