Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Reise am frühen Morgen des 29 . sehr zügig voran. Schon nach kurzer Zeit fuhr das Auto, noch im goldenen Morgenlicht, auf der Hauptstraße in die Kreisstadt von Luquan ein. Wir durchquerten die Stadt, und kurz nach elf aßen wir etwas in dem kleinen völlig heruntergekommenen und dreckigen Marktflecken Tuanjie. In einem armseligen Supermarkt erstand ich ein paar Pfund Süßigkeiten als freundliches Mitbringsel.
Nach einer weiteren Fahrt kamen wir zu einer holprigen Schotterstraße, die immer wieder in einen unbefestigten Feldweg überging. Unser Auto, das aussah wie ein Käfer, kroch den Berg hinauf, bebte, keuchte und stieß schwarzen Qualm aus, erst nach ein, zwei Stunden waren wir oben. Obwohl die Autofenster geschlossen waren, konnte man spüren, wie windig es war. Die Wolken zogen wie große Drachen an langen Schnüren durch die Seidenfäden des Sonnenlichts hin und her. Ein tiefer felsiger Graben in roter Erde war vom Blut der Jahre gefärbt.
Nach etlichen Kurven wurde die Schotterstraße wieder eben. Kurz vor einem Felsvorsprung erklärte Doktor Sun, dieser Ort heiße Dapingdi, die große Ebene, und gehöre zum Dorf Shimenkan in Tuanjie. Das Auto solle am Straßenrand halten, der erste Interviewpartner dieser Reise wohne über uns.
***
Doktor Suns Bericht:
Zum ersten Mal kam ich vor ein, zwei Jahren hierher. Damals war ich mit jemandem unterwegs, der Tuberkulose gehabt hatte, und nachdem wir eine gute halbe Stunde zu Fuß gelaufen waren, warteten wir am Rand dieses Feldwegs auf ein Auto. Weil es hier recht hoch war und der Bergwind aus der über tausend Meter tiefen Schlucht heraufpfiff, flogen uns die Kleider und Haare nur so um die Ohren. Um Schutz vor dem Wind zu suchen, zogen wir uns hinter einer Ecke in eine Vertiefung im Berg zurück. Zufällig sah ich nach oben und entdeckte, wie schön sich gegenüber der Gebirgskamm im Wolkenmeer dahinschlängelte. Als ich mich weiter umsah, bemerkte ich über unserer Vertiefung im Berg grünwuchernde Gräser und Sträucher und am schrägen kahlen Hang oben überraschenderweise eine von Ästen geschützte Strohhütte. Neugierig wollte ich sofort hinauf, um mir das anzusehen. Da zerrten unerwartet zwei kräftige Hände an mir:
»Dort kann man nicht hin! Nicht dorthin! Dort gibt es Lepra!«
Ich sagte: »Ich bin Arzt, wieso sollte ich nicht hingehen?«
Der andere: »Sehr lange schon hat niemand mehr gewagt, sich dem Ort zu nähern.«
Ich sagte ihm, ich hätte keine Angst, streifte seine Hände ab und kletterte, nachdem ich einen großen Bogen geschlagen hatte, von einem Durchgang am Straßenrand aus die Anhöhe hinauf. Nachdem ich das Gestrüpp, durch das auch wir gerade heraufgestiegen sind, durchquert hatte, kam ich hierher.
Das Dach der Hütte war damals noch aus schwarzem fauligem Stroh, die Wände aus Erde waren an einigen Stellen zusammengebrochen, und der angeblich leprakranke Zhang Zhi’en und seine Frau Tang Kaifeng saßen vor der Tür in der Sonne. Ich ging zu ihnen hin und grüßte sie, unterhielt mich ein wenig mit ihnen und stellte nach genauerer Betrachtung fest, dass dieser alte Mann keine Symptome einer Leprakrankheit hatte.
Um in die Hütte einzutreten und mich umzusehen, musste ich mich tief bücken. Drinnen war es wie in einer Höhle in den Bergen, sogar noch schlimmer als in einer Höhle. Der Alte sagte, weil sie es nicht mehr könnten, sei das Stroh auf dem Dach schon seit einigen Jahren nicht mehr gewechselt worden. Überall seien größere und kleinere Löcher, bei Sturm und Regen stehe hier drinnen alles unter Wasser. Ich fragte, wie sie denn dann leben würden. Und der Alte: »Wie wir leben? In den Nächten ist es, als drehe sich eine Mühle, alles im Raum dreht sich mit, der Regen läuft einem über den Kopf, und man sucht sich einen anderen Platz; dann läuft er einem in den Nacken, und man sucht sich wieder einen anderen Platz … Irgendwann ist der Boden wie ein Reisfeld, die Gefäße, die den Regen auffangen sollten, stehen unter Wasser, und wir können nicht mehr ausweichen …«
Ich blieb nicht länger, sondern suchte auf direktem Weg die Leute des Dorfes hier auf, um Genaueres in Erfahrung zu bringen, und die sagten: »Doktor, Sie haben wirklich Mut.«
Ich darauf: »Die beiden haben gar keine Lepra.«
Und völlig verwundert die Leute: »Wie, keine Lepra? Die vorige Frau des alten Zhang wurde doch wegen der Lepra bei lebendigem Leib verbrannt …«
Ich war zutiefst schockiert. Danach half ich mit Unterstützung der
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