Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
von Ihnen beiden hatte eine Abneigung gegen den anderen.
ZHANG ZHI’EN:
Xu Meiying sah gut aus.
LIAO YIWU:
Wie lange seid ihr ein Ehepaar gewesen?
ZHANG ZHI’EN:
Weiß nicht mehr.
LIAO YIWU:
Sie wissen es nicht mehr? Kann ich ein Foto von ihr sehen?
ZHANG ZHI’EN:
Wir haben keine Fotos gemacht.
LIAO YIWU:
Für die Registrierung der Ehe?
ZHANG ZHI’EN:
Gab’s nicht. Ich kam ins Haus, und wir schliefen zusammen.
LIAO YIWU:
Wie alt war sie damals?
ZHANG ZHI’EN:
Zwei, drei Jahre jünger als ich. Als wir anfingen, zusammen zu schlafen, fingen sie gerade an, die Straße vor dem Haus zu bauen.
LIAO YIWU:
Wie habt ihr die Jahre verbracht?
ZHANG ZHI’EN:
In der Erde gegraben und nach Essbarem gesucht.
LIAO YIWU:
Habt ihr ein Kind bekommen?
ZHANG ZHI’EN:
Nein.
LIAO YIWU:
In welchem Jahr ist sie verbrannt worden?
ZHANG ZHI’EN:
Weiß nicht.
LIAO YIWU:
Weiß nicht? Seit wann ist sie denn weg?
ZHANG ZHI’EN:
Sie – ist schon etwa zehn Jahre weg.
LIAO YIWU:
Dann war es also um 1995 herum. Ihr müsst fast zwanzig Jahre miteinander verbracht haben.
ZHANG ZHI’EN:
So ist es.
LIAO YIWU:
Weshalb wollte man sie verbrennen?
ZHANG ZHI’EN:
Sie war krank geworden und wurde nicht mehr gesund.
LIAO YIWU:
Wenn man nicht mehr gesund wird, sollte man in ein Krankenhaus gebracht werden.
ZHANG ZHI’EN:
Sie können nicht wissen, dass sie eine Begegnung mit einem großen Python hatte, den man in dieser Gegend als Schlangendrache verehrte. Als ich damals im Frühling den Boden harkte, huschte aus einer Steinspalte wieder eine Natter heraus, ich wollte sie nicht erschlagen, aber als sie auf mich los ging, bekam ich es mit der Angst und habe ihr, zack, den Garaus gemacht. Am Qingming-Fest [21] dann ging Xu Meiying zu ihrer Mutter ans Grab, und bald nachdem sie zurück war, kam eine Freundin und Verwandte von ihr aus der Gemeinde Zhebei im Kreis Fumin zu uns zu Besuch und blieb drei Monate. Diese enge Freundin hatte einen großen Ballen bedruckten Baumwollstoff mitgebracht, aus dem Xu Meiying eine neue wattierte Bettdecke nähte …
LIAO YIWU:
Ich verstehe nicht recht.
ZHANG ZHI’EN:
In der Nacht regnete es in Strömen. Kurz bevor es hell wurde, krachte ein heftiger Donnerschlag, das ganze Haus bebte. Plötzlich ließ der Schlangendrache sich sehen, wie ein Topfdeckel kam er herunter, der Drachenkopf sauste zwischen den Wolken hin und her, der Schwanz aber fegte bei den verlassenen Gräbern oben auf dem Hang hin und her.
Xu Meiying war kaum aufgestanden, um einen Blick nach draußen zu werfen, da fiel sie mit einem Ah! zurück ins Bett, und ich fragte: »Was hast du?« Sie gab erst keinen Ton von sich, dann schrie sie auf einmal, so laut sie konnte, ihre tue der Kopf so weh. Anschließend wurde sie blind und taub, und ich raste überall hin nach einem Arzt, gab alles dran, was wir besaßen, aber die Ursache der Krankheit war nicht zu finden. Jedes denkbare Arzneikraut habe ich gekocht und ihr eingeflößt, trotzdem wurde die Krankheit von Tag zu Tag schlimmer.
Ich drehte fast durch; was mit Xu Meiying geschehen war, sprach sich herum. Und je weiter es sich verbreitete, desto mysteriöser wurde es, alle waren der Meinung, das sei die Strafe dafür, dass ich die Natter erschlagen hatte, der Schlangendrache habe sie verhext.
Ich bat einen Hexenmeister zu kommen und einen heiligen Ritus zur Erlösung ihrer Seele zu vollziehen. Aber der Schlangendrache war zu mächtig, auch der Hexenmeister war ihm nicht gewachsen. Zur gleichen Zeit brachte außerdem jemand einen alten blinden Wahrsager vorbei, der mit gerümpfter Nase einmal ums Haus ging, den Kopf schüttelte und sich ohne ein Wort wieder davonmachte.
Als offensichtlich war, dass Xu Meiying nicht mehr geholfen werden konnte, suchte ich zuerst meinen Schwager (ihren ältesten Bruder) auf und ging dann zum Dorfvorsteher, um zu besprechen, was wir tun sollten. Sie waren beide felsenfest davon überzeugt, dass sie wieder an Lepra erkrankt war, dazu kam einer der Alten, der bestätigte, Xu Mei-yings Mutter sei ebenfalls an Lepra gestorben.
LIAO YIWU:
Ist denn Lepra erblich?
ZHANG ZHI’EN:
Keine Ahnung, ich habe das nicht behauptet. Ich hielt noch ein paar Tage weiter durch, dann kam mein Schwager und rief mich aus dem Haus, er meinte, das sei besser für mich.
LIAO YIWU:
Was war besser für Sie?
ZHANG ZHI’EN:
Der Dorfvorsteher kam ebenfalls und auch die anderen aus dem Dorf, wie kleine Fische, wie auf die Schnur gezogen, jeder
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