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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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deckt sich nicht mit dieser Erläuterung, es gibt auch keinen Weg, die Symphonik massentauglich zu machen, und die Anpassung an Radio und Fernsehen hat damit überhaupt nichts zu tun. Das wäre der gleiche Blödsinn, als käme man einem Ballettensemble mit einer ›Ballettisierung‹ oder propagiere die ›Marionettisierung‹ eines Marionettenensembles!« Besonders betonte ich: »Diese drei Leitlinien sind regelrechte Unleitlinien für null Inhalt, null Voraussetzung und null Richtung.«
    Anfangs habe ich noch sehr darauf geachtet, was ich sagte, aber nach und nach sind die Pferde mit mir durchgegangen, es sprudelte über zwei Stunden lang nur so aus mir heraus, es war wie ein Wasserfall: »Wenn unsere Arbeit nicht einen gewissen Standard erreicht und wir stattdessen den Reis der Politik fressen, auf was gestützt sollen wir uns dann der Menschen annehmen?«
    Das habe ich damals gesagt.
    Außerdem wies ich auf die unhaltbare Situation hin, dass Lin Kechang, ein Auslandschinese aus Indonesien, für den Zhou Enlai persönlich eine Arbeitsmöglichkeit arrangiert hatte, mit seinen vier Brüdern einfach zur Seite geschoben worden war. Dabei hatte er am Pariser Konservatorium studiert, war ein namhafter Dirigent und Violinist, der aber unter der Fuchtel des soundsovielten stellvertretenden Orchesterleiters beinahe nicht mehr zu halten gewesen war.
    Was ich sonst noch gesagt habe, kann ich nicht erinnern, aber alles in allem habe ich der Führung erst nach der dritten Mobilisierung bei ihrer Reinigungsaktion geholfen. Im Gebäude drängten sich die Menschen, der soundsovielte stellvertretende Orchesterleiter und ein paar Kader waren persönlich erschienen und machten sich Notizen, aber mir war nicht klar, was das bedeutete.
    LIAO YIWU:
    Das hieß »schwarzes Material« sammeln, das wusste damals wahrscheinlich jedes Kind. Sie waren wirklich reichlich eigensinnig.
    WANG XILIN:
    Ich habe eine Art wie ein Rammbock, immer vorneweg, bei der Armee, bei der Anti-Rechtsabweichler-Kampagne, bei der Stahlschmelze, bei der Landverschickung, was die Partei befohlen hat, das habe ich gemacht. In den Jahren des Friedens, als es keine Gewehre gab, habe ich Tragestange und Hacke zu meinem Gewehr gemacht, und aus Misteimer und Pferdekarren wurden antiimperialistische und antirevisionistische Panzer. Später jedoch wurde die Symphonik mein Leben, politisch war ich nicht mehr so korrekt, meine Unbeweglichkeit hat sich zu einer Tragödie ausgewachsen.
    LIAO YIWU:
    Hat die Führung Sie besucht?
    WANG XILIN:
    Ein paar Tage hat sich oben überhaupt nichts bewegt, aber es schwirrten Gerüchte herum, es gäbe eine kleine Clique von Parteigegnern mit mir an der Spitze. Ich war nervös und dachte daran, die ganze Sache aufzuklären, aber die Genossen waren einer nach dem anderen in der Versenkung verschwunden, es war nur ein Gebäude, aber sie gingen mir aus dem Weg. Eines Tages dann traf ich draußen Zhang Haibo, den ersten Flötisten, wir gingen zusammen in eine abseits gelegene Gaststätte und haben einen Abend lang mit Biertrinken vertan. Ich wurde melancholisch: »Ach, es hat doch alles keinen Sinn, wenn die Mobilisierten etwas gegen mich vorbringen und am Ende noch …«
    Es war wie beim sogenannten »Abkochen von Falken«, wenn man ihnen ein schwarzes Tuch über den Kopf wirft – erst als die oben dachten, ich sei weichgekocht, verabredeten sie ein Gespräch mit mir. Als ich losging, war ich innerlich schon zusammengebrochen. Wenn die Partei damals willens gewesen wäre, mir zu verzeihen, ich hätte laut losgeheult und wäre ihr ein Leben lang dankbar gewesen. Als ich das Büro betrat, saß da der Orchesterleiter und musterte mich lange, mit so einem Blick, der sagen sollte, wie er es hasste, dass aus mir nichts geworden war. Dann seufzte er wie ein gütiger Vater. Um die Wahrheit zu sagen, der Orchesterleiter war ein Yan’an-Kader, ein erfahrener Mann, gar nicht unrecht, er war einmal Cellist gewesen, und auch wenn er damals ein Vertreter der Partei war, so schien er mich doch nicht einfach totschlagen zu wollen.
    Am Ende ergriff er das Wort, er wand sich hörbar: »Ach, Genosse Xilin, deine Rede da, über zwei Stunden, die war doch voller schwerer Fehler! Warum hast du nicht das persönliche Gespräch mit mir gesucht, als der Ältere hätte ich dich darauf aufmerksam machen können, was du sagen solltest und was nicht! Aber jetzt ist das leider etwas anderes, deine Worte klingen wie eine Fortsetzung der Angriffe der Rechtsabweichler 1957

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