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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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abgeschriebene Klavier herauszuholen und es in mein Arbeitszimmer zu schaffen, ich wollte es überholen und dann benutzen. Wir waren auf halbem Weg den Korridor entlanggerumpelt, als wir unversehens so einen kleinen Aktenhengst aufschreckten. Als habe er ein Lineal verschluckt, stellte er sich uns in den Weg: »Ist das von der Führung genehmigt?«
    Ich antwortete: »Nein«, woraufhin wir ganz durcheinander das Klavier wieder zu seinem Ursprungsort zurückbugsierten. Jetzt war ich endgültig unten durch und wurde zur Arbeit und Selbstprüfung einen Monat ins Sendezentrum des Zentralradios geschickt, ein Ort mit Namen »Stützpunkt 13 «.
    Im Herbst 1962 hatte der gute Mao die Parole ausgegeben »Vergesst auf keinen Fall den Klassenkampf«. In der Folge begann die Kampagne zur Erziehung zum Sozialismus mit der »Bewegung gegen die Fünf Übel in den Städten und für die Vier Bereinigungen auf dem Land« [61] . Wie viele Kampagnen zuvor, wurde das Ganze erst einmal in einer Organisation des Zentralkomitees getestet. Im Herbst dreiundsechzig veranstaltete das Büro des Zentralradios eine Mobilisierungsversammlung und rief öffentlich die Massen zur Kritik an der Führung auf, das nannte sich: »Die führenden Kader sollen herunterkommen und ein Bad nehmen.«
    LIAO YIWU:
    Dieses »Bad« soll eine Anspielung sein, das Ganze geht auf Mao zurück. Während der berüchtigten »Rettungskampagne« [62] von Yan’an wurden viele verdiente Persönlichkeiten, die aus von der Guomindang beherrschten Gebieten geflohen waren, versehentlich ermordet oder eingesperrt, die Menschen verteidigten sich vehement, es entstand eine große Unruhe, selbst den Soldaten ging es ans Herz. Wenn es so weiterging, das sah Mao ein, würde er sich womöglich nicht an der Macht halten können, deshalb intervenierte er und rüffelte Kang Sheng, den Chef des Geheimdienstes. Er selbst begab sich höchstpersönlich zur Brigade 359 , um den Personen, die verleumdet worden waren und im Sterben lagen, die militärischen Ehren zu erweisen. Außerdem sagte er, er würde nicht ruhen, bis die Genossen ihm verziehen hätten. Und dann sagte er noch, er sei »hergekommen, um ein Bad zu nehmen«, ob die Genossen ihm nicht ein wenig Wasser warm machen könnten, aber sie sollten sich um Himmels willen keine Umstände machen. Als dieser Gauner von einem Himmelssohn das sagte, vergossen seine Untertanen natürlich heiße Tränen, und es gab tosenden Beifall.
    WANG XILIN:
    Solche politischen Floskeln gab es auch siebenundfünfzig, da hieß es, man solle die Schlangen aus ihren Höhlen locken und sie mit einem Knüppel bewusstlos schlagen. Während der Erziehung zum Sozialismus hieß es in einem Dokument des Zentralkomitees in etwa: Kader, die sonst hoch oben thronen, müssen die Initiative ergreifen, sich unter die Massen begeben, die Kritik annehmen und ihr Denken von allem Schmutz reinigen. Wenn dies auf eigene Initiative geschehe und in aller Bescheidenheit, dann werde diese Reinigung sein wie ein »warmes Bad«. Wenn es nicht auf eigene Initiative geschehe und mit Widerwillen, dann werde das Wasser heiß sein oder kochend, dann würden sie geistig vom Urteil der Massen verbrüht. 1957 sollte das chinesische Volk mit solchen Ködern an den Haken gelockt werden, aber es waren so viele Parolen, dass sie in das eine Ohr hinein- und aus dem anderen wieder herausgingen. Die Genossinnen saßen völlig abgestumpft auf den unentwegten Mobilisierungsversammlungen und strickten Pullover, nur so ein Dummkopf wie ich in seinem jugendlichen Übereifer konnte sich davon fangen lassen.
    Am Ende bin ich mitten aus einer Kleingruppendiskussion heraus und weg. In der Tat hatte ich anfänglich, wie die Masse der Rechtsabweichler auch, nur die Arbeit des Orchesters vorantreiben wollen, um meine Musik besser in den Dienst der Gesellschaft stellen zu können, ein populärer Spruch lautete ja: »Für Volk und Vaterland der Partei helfen bei der Ausrichtung des Arbeitsstils.«
    Damals trat man für die Drei Leitlinien ein, alles sollte »tauglich gemacht werden« für »das Volk, die Massen und für Radio und Fernsehen«. Ich hatte zunächst die berühmten Erläuterungen des Vorsitzenden Mao aus seinem Aufsatz von 1940 »Über die neue Demokratie« vorgelesen: »Wir müssen unbedingt die herausragende Kultur des Auslands und die eigene alte Kultur fortführen und als Vorbild heranziehen …«
    Das nahm ich dann zum Anlass, meine eigene Meinung zu sagen: »Die Tauglichmachung für das Volk

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