Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
zu ihr hinzog, ich fühlte mich im Kollektiv wie ein Fisch im Wasser, es war fast ein wenig zu turbulent.
LIAO YIWU:
Ich verstehe immer noch nicht, wieso Sie dann als Rechtsabweichler angesehen wurden. Ihre Frau hat politisch nicht zu Ihnen gepasst, die Einmischung der Organisation, das alles kann ich mir vorstellen. Meine kleine Schwester hat sich während der Kulturrevolution in einen Kompanieführer der Volksbefreiungsarmee verliebt, daraus wurde nichts, weil meine Familie von Grundbesitzern abstammt und ihre gesellschaftlichen Beziehungen kompliziert waren. Dieses System der internen und externen Auskundschaftung des politischen Hintergrunds hat lange Zeit das Leben des Einzelnen mit Füßen getreten – die Leute hatten sich schon daran gewöhnt, so an der Tagesordnung war das, ja, sie billigten es sogar, denn die Organisation konnte sich schließlich nicht irren. Aber war das eine Grundlage für Ihre Abstemplung zum Rechtsabweichler?
FENG ZHONGCI:
Ja. Anfangs habe ich ihre Nähe gesucht, um politisch-ideologische Arbeit zu machen, da stellte ich fest, dass die Beziehung zwischen ihr und der Nebenfrau ihres Vater sehr tief war, und ermahnte sie immer wieder, sie müsse klar Position beziehen. Später einmal zog sie mich, ohne ein Wort zu sagen, in eine tiefe Gasse, an deren Ende diese Frau am Waschen war. Sie hatte langes Haar, feine, dünne Finger, sie richtete sich auf und lächelte mich an. Auf ihrem blassen und blutleeren Gesicht lag eine traurige Schönheit. Sie ging in den Hof, und dort spielte diese melancholische Schönheit auf einem völlig verstaubten Klavier, anscheinend wollte sie sich bewusst bei mir einschmeicheln, deshalb spielte sie die Melodie von »Der Himmel über den befreiten Gebieten ist ein klarer Himmel«. Dieses Revolutionslied, das wir schon rückwärts konnten, wurde durch das Spiel dieser zarten Finger zu etwas ganz anderem, es schimmelte! Aber man hatte das Gefühl, als falle ein Seufzer in einen tiefen Abgrund. Ich war ganz verwirrt. Und diese Verwirrung hat den Rest meines Lebens von Grund auf verändert. Mir, einem Mitglied der Kommunistischen Partei, einem Sekretär der Kommunistischen Jugendliga, wie konnte mir das passieren? Was war mit meinem Klassenstandpunkt? So überlegte ich. Aber was sollte ich denn tun? Ich konnte mit lauten revolutionären Parolen nicht verhindern, dass das alles geschah, außerdem, was war denn geschehen? Spielten nicht auch andere revolutionäre Lieder?
Ja, ich stammte aus armen Verhältnissen, man hatte mich einer Gehirnwäsche unterzogen, aber ich hatte eine höhere Erziehung bekommen – und die Ausbildung vor 1957 war noch keine reine Indoktrination. Ich wusste noch, was schön ist und was gut. Wen Xin sagte zu mir: »Sie hat es nicht böse gemeint, sonst hätte sie gar nicht für dich gespielt.«
Ich drehte mich um und verließ die Gasse. Es war meine erste Erfahrung mit den Verlockungen der untergehenden reaktionären Klasse. Wen Xin folgte mir und sagte: »Sie ist nicht mehr ganz richtig.« Ich blieb jäh stehen, es war tiefer Winter, in einer dunklen, abgelegenen Gasse, ein Sonnenstrahl wischte über die tiefhängenden Dachtraufen, keine Straßenszene, die nach dem neuen China aussah. Als Wen Xin mir das Leben ihrer zweiten Mutter erzählte, schien das aus der Tiefe der Geschichte zu kommen: »Bis heute«, sagte sie, »liebt sie ihren Musiklehrer, das war eine Realität, an der mein Vater nichts ändern konnte, und so ließ er sie gehen. Leider starb dieser Musiklehrer an einer Lungenkrankheit. Nach der Befreiung ließen die beiden sich scheiden, sie machte sich auf den weiten Weg nach Xi’an, um ihren Geliebten zu suchen, doch sie hatte nicht erwartet, dass nur noch ein verlassenes Grab auf sie wartete. Zwei Monate später kehrte sie nach Chengdu zurück, wo sie bis heute alleine lebt. Vater hatte ihr längst verziehen. Als er im vergangenen Jahr starb, hinterließ er ein Testament, in dem er ihre Erbberechtigung anerkannte.«
Als ich diese bewegende Geschichte aus der Welt der Bourgeoisie gehört hatte, war es bereits spät, wir mussten uns sputen, zur Universität zurückzukommen. Bevor wir uns trennten, fragte ich sie, warum sie mir das erzählt habe. Sie sagte: »Damit habe ich mein Herz der Partei geöffnet. Wenn du sie davon informierst, dann macht das nichts.«
Ich hatte das Gefühl, selbst gekränkt worden zu sein, so schnell waren mir die Tränen in die Augen geschossen. Ich hob den Kopf und kam mir fast ein wenig töricht
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