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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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geschaffen haben wie »Rot, rot in der Brust die Sonne wohnt / auf den breiten Wegen der Kulturrevolution« oder »Wie hoch die Berge am Taixing sind / An den Ufern die roten Fahnen im Wind / Rebellen, die nicht zu besiegen sind …«. Und das noch vermischt mit Elementen der Shaanxi-Oper und über tausend Jahre alten Balladen aus dem Volk. Herr Professor Wang, Sie hätten eigentlich ein Günstling des Staates sein können, wie Lü Yi, He Jingzhi, die die musikalischen Lehren nie angetastet haben, aber in die höchsten Ämter aufgestiegen sind. Oder wie Wang Ming, der, wie es heißt, nicht wenige Lieder der Kulturrevolution vertont hat; oder Hu Songhua, der mit seiner »Hymne« als Künstler berühmt geworden ist und diesen Ruhm Jahrzehnte genossen hat. Und wie sie alle heißen, die Ihnen viel zu verdanken haben, He Lüding, Li Delun, die noch in der Tradition von Yan’an stehen. Im neuen China, um etwas Unangenehmes anzusprechen, im neuen China haben sich die Musiker nicht anders verhalten als die Schauspieler, nur die wenigsten haben sich geweigert, sich von der neuen Zeit vereinnahmen zu lassen. Professor Wang, Ihre Technik steht weit über all diesen roten Schauspielern, warum sind Sie von den Himmelssöhnen Mao, Deng Xiaoping und Jiang Zemin immer beiseitegeschoben und verfolgt worden? Und nun wurde Ihnen auch noch vom Pekinger Gesangs- und Tanzensemble gekündigt, weil mit Ihren Symphonien kein Geld zu verdienen sei? Sie geben Unterricht, für zehn Yuan die Stunde, das ist nicht einmal ein Prozent von dem, was ein Star für einen Auftritt bekommt …
    WANG XILIN:
    Aber ich habe ein paar Dutzend wirklicher Werke geschrieben! Ich habe die Dritte, die Vierte geschrieben und schreibe zur Zeit an der Fünften! So wie Schostakowitsch Stimme und Zeuge der Stalin-Epoche war, so sind es auch meine Werke … am Jüngsten Tag wird man sie brauchen … sie sind ewig!
    LIAO YIWU:
    Ich habe ausländische Berichte gelesen, wonach Ihre Symphonien in mehr als zwanzig Ländern aufgeführt worden sind, sie werden als Maestro bezeichnet. Aber für den normalen Chinesen in dieser Kommerzgesellschaft ist das genauso abgehoben wie weit weg, außer Ihrer Zusammenarbeit mit Zhang Yimou im Film »Heroes«.
    WANG XILIN:
    Das war die pure Scheiße!
    LIAO YIWU:
    Sie sind in einer Gesellschaft von Gewinnern und reden groß von purer Scheiße und verkennen wieder einmal die Zeichen der Zeit! Wie damals, als Sie während der Kampagne zur Erziehung zum Sozialismus die Führung angegriffen haben. Die Zeiten haben sich geändert, Ihre Uneinsichtigkeit nicht, deshalb werden Sie von der Partei und vom Volk nicht akzeptiert.
    WANG XILIN:
    Die Menschen haben nicht gehört, was ich durchgemacht habe, um eine Symphonie aufzuführen, braucht man einen Ort, man braucht Geld.
    LIAO YIWU:
    Warum sind Sie nicht ein wenig flexibler?
    WANG XILIN:
    Ich will ja flexibler sein, ich will ihnen ja in den Arsch kriechen, aber meine Kehle ist zu rau, mein Weinen versetzt die Leute in Angst und Schrecken. Das Massaker vom 4 . Juni und all die anderen ungezählten Massaker, das Heulen, die Schreie, die Klage, die lautlosen Schreie tränenüberströmter Gesichter, die Melodien der Knüppel, das will aus mir heraus! Das will ich den Herrschenden widmen, soll ich ihnen dabei Zucker in den Arsch blasen und fragen, ob es auch süß genug ist? Wenn ich ihnen eine Ohrfeige verpasse, werde ich ihnen nicht in den Arsch kriechen, bis er Blasen schlägt!
    Penderecki hat seine »Elegie für die Opfer von Hiroshima«, und ich will eine Serie von Elegien für dieses Volk schreiben, für Qu Yuan, Xi Kang, Wang Shiwei und all die anderen unschuldigen Opfer. Ich will den Feudalismus niederringen, ich will einen Gedenkstein aus Klängen für die Opfer des Maoismus errichten …, aber, mein lieber Liao Yiwu, das versteht niemand, wenn ich nachts wach werde und schwimme in Tränen, das versteht niemand …
    LIAO YIWU:
    Von ihrer Psychologie her sind Sie wie van Gogh, Sie haben zu viele Schläge abbekommen und sind am Ende zu einem Feind der Autokratie regelrecht erzogen worden. Jiang Yanyong, ein ehemaliger Militärarzt, der seine letzten Jahre in Frieden verbrachte, wurde vergangenes Jahr zu einem Volkshelden gemacht, weil er die offizielle Verlogenheit im Zusammenhang mit SARS aufdeckte. Unter einem normalen System, wo das Volk seine »Volksvertreter« kontrollieren kann, hätte man von ihm nie etwas gehört. Oder Ding Zilin, dieser stellvertretenden Professorin an der

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