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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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vor. Ich hatte mich längst in dieses Mädchen verliebt, und doch, war das alles denn die Möglichkeit?
    LIAO YIWU:
    Hat die Organisation Sie gerettet?
    FENG ZHONGCI:
    Die Organisation hört das Gras wachsen, von den Schulen bis zur Gesellschaft scheint alles ein einziges Netz. Zum Glück waren Wen Xin und ich nicht oft zusammengetroffen. Bis unser Examen herankam, war das politische Klima in der Gesellschaft relativ entspannt, viele große Intellektuelle waren dem Ruf der Organisation gefolgt und hatten der Partei ihre Meinung vorgetragen [69] . Zu Beginn, als Mao Zedong selbst noch mit gutem Beispiel voranging, war die Organisation auf allen Ebenen noch offen und bescheiden, später wurde die Kritik immer heftiger und immer extremer, es gab selbst den Ruf, mit dem Einparteiensystem Schluss zu machen und eine parlamentarische Demokratie nach westlichem Vorbild einzuführen. Ich erinnere mich noch wie heute, was Ke Peiqi als Professor der Universität des Chinesischen Volkes und als Vertreter der hundert wichtigsten Persönlichkeiten des Landes als »Meinung« kundtat: »China ist ein Land mit 600  Millionen Einwohnern, einschließlich der Konterrevolutionäre, und nicht nur das Land der Kommunistischen Partei. […] Ihr glaubt, ›L’état c’est moi‹, aber das erlauben wir nicht. Ihr habt keinen Grund, Euch für die Herren zu halten und andere auszuschließen! Es kann nicht sein, dass nur Mitglieder der Kommunistischen Partei zuverlässig sind und alle anderen verdächtig. Vor allem an Persönlichkeiten außerhalb der Partei, die sich gerne beschweren, kann die Partei sehen, dass sie sich nicht überheben darf und dass sie keinen Grund hat, uns Intellektuellen nicht zu vertrauen. Wenn die Kommunistische Partei untergeht, wird China nicht untergehen. Weil sie die Führung der Kommunistischen Partei nicht wollen, werden sie noch lange nicht ihr Land verkaufen.«
    Eine solche »Meinung« ging weit über das »Maß« hinaus, das man politisch noch dulden durfte, aber die Berichtigung des Arbeitsstils ging parteiintern ihren gewohnten Gang. Wen Xin äußerte in der Regel kein Wort, kümmerte sich auch nicht um Politik, doch unter meiner wiederholten Mobilisierung fasste sie sich ein Herz und äußerte eine Meinung. Sie meinte ungefähr, die Kommunistische Partei sei für Demokratie, Gleichberechtigung und Freiheit, und das heiße auch, dass man unabhängig vom familiären Hintergrund die gleichen Rechte genieße, doch in den letzten vier Jahren an der Schule sei sie nur diskriminiert und wegen ihrer Familie stigmatisiert worden. Beim Eintritt in die Partei und die Jugendliga würden keine Unterschiede gemacht, man müsse hart studieren, und der Name müsse ganz vorn auf der Erfolgsliste stehen, dann würde man von allen als »Musterbeispiel für linke Ideologie« betrachtet. Der Vorsitzende Mao habe wiederholt gelehrt, man müsse bei den Söhnen und Töchtern der Ausbeuterklasse nur eine klare Klassenlinie ziehen und ihnen dann einen Ausweg weisen …
    Als Wen Xin mit ihrer Rede zu Ende war, war ich der Erste, der ihr Beifall spendete, doch der darauffolgende Beifall der anderen war spärlich, die Mitglieder des Klassenkomitees zogen lange Gesichter. Ich war ein Komiteesekretär, der mechanisch die Politik der Partei umsetzte, alles richtete sich nach dem Leitartikel der »Renmin Ribao« aus, und weil das so war, hielt man auf der oberen Führungsebene große Stücke auf mich und schätzte mich. Doch diesmal, bei der Frage, wie man mit Wen Xin umzugehen habe, hielt ich der Organisation zum ersten Mal in meinem Leben nicht die Stange. Ich hatte sie dazu gebracht, ihr Innerstes zu offenbaren, damit alle sie verstünden, mit ihr fühlten, ich hätte nie erwartet, dass genau das Gegenteil eintreffen würde. Auf der stürmischen See der Politik war ich ein Blinder, der die Situation nicht klar einschätzen konnte und andere noch ermutigte, sich ins Unglück zu stürzen. Nach einem Monat schließlich schlug plötzlich der Wind um, der Vorsitzende Mao ließ öffentlich vor dem gesamten chinesischen Volk die Katze aus dem Sack, mit der Direktive von der ›Unterstützung der innerparteilichen Berichtigung des Arbeitsstils durch außerparteiliche Personen‹ habe man die Schlangen aus ihren Löchern hervorgelockt und den Klassenfeind aus seiner tiefen Deckung herausgetrieben. Die bedeutenden Rechtsabweichler wurden einer nach dem anderen aus dem Verkehr gezogen, von oben wehte ein scharfer Wind, die Universität und die

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